Kapitel 1
Das Turmzimmer
Petronella Polidori ärgerte sich über das aufgeregte Prickeln, das ihr über den Rücken lief. Nein, sie würde das Haus nicht mögen! Oder zumindest ignorieren. Das hatte sie sich fest vorgenommen. Aber nun machte ihr diese Gänsehaut einen Strich durch die Rechnung. Wie unpassend! Dabei hätte sie vorhin noch platzen können vor Wut, Traurigkeit und Erschöpfung.
»Glaubt ihr wirklich, dass hier jemand wohnt?«, rief Roberta und lachte. Es sollte verächtlich klingen, doch Petronella kannte ihre große Schwester gut genug, um das freudige Beben in ihrer Stimme zu bemerken. »Das ist eins von diesen Häusern. Absolut typisch! Ihr wisst schon. Ich wette, da liegt irgendwo ein Skelett in der Badewanne. Wartet mal ab!«
Petronella blickte an den bröckeligen Mauern empor. Wilde Ranken überwucherten die Hälfte der Fassade und hatten sich bereits einige Fenster einverleibt. Was sich wohl dahinter verbergen mochte? Alles an diesem Haus schien ihr zu sagen:Bleib weg von mir! Ich bin gefährlich! Bei dem Gedanken daran spürte Petronella eine Art von … Vorfreude. Sehr verwirrend.
»Ausgesetzt in der ostfriesischen Einöde – von den Pfadfindern!«, rief Roberta begeistert. »Wenn das mal nicht der Anfang einer absolut haarsträubenden Geschichte ist!« Sie rückte ihren Federhut zurecht und stakste beschwingt weiter. Im Gegensatz zu Petronella und Pellegrino hatte sie ihre Pfadfinderkleidung gegen ein kariertes Kostüm mit steifer Bluse, wadenlangem Rock und Schuhen mit Pfennigabsätzen eingetauscht. Im Moment hatte sie ihre Vornehme-alte-Dame-Phase. Die zahlreichen wechselnden Hüte gehörten dazu. (Daher die vielen Hutschachteln, die sie Petronella und Pellegrino aufgel