: Ingke Brodersen
: Lebewohl, Martha Die Geschichte der jüdischen Bewohner meines Hauses
: Kanon Verlag
: 9783985680757
: 1
: CHF 19.00
:
: Gesellschaft
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Marthas Flügel und Bettys blaues Sofa24 Verschwundene. Deportiert aus dem Haus, in dem Ingke Brodersen wohnt. Ein »Judenhaus«. Einige flüchten, andere verstecken sich. Von ihnen erzählt die Historikerin. Und von denen, die heute Zuflucht suchen.Hanns-Stephan ist zwölf, als er 1939 in London Liverpool Station auf dem Bahnsteig steht. Gerettet mit dem Kindertransport. Seine Mutter stirbt im Bombenhagel. Sein Vater Siegfried Jacob taucht unter und überlebt. Ihm gehört das Haus, in das andernorts vertriebene Juden zwangseingewiesen werden. Ein sogenanntes »Judenhaus«, wie es auch in anderen Ländern Europas zu finden war. Als Ingke Brodersen in eine Wohnung im vierten Stock genau dieses Hauses einzieht, weiß sie nichts von Martha, Clara und Bertha. In einer beeindruckenden Recherche rekonstruiert sie die Lebenswege der Verfolgten. Und sie wendet sich denen zu, die heute Vertriebene sind: Safed aus Bosnien oder Aziz und Rana aus Kabul. So ist ihr Buch ein bewegendes Zeugnis des Gedenkens und gelebter Mitmenschlichkeit.»Dieses Buch erzählt von 24 Verschwundenen. 1942 deportiert aus dem Haus, in dem ich wohne. Und von den anderen, die entkamen. Ich lernte sie alle erst Jahre nach meinem Einzug kennen. Ich erzähle ihre Geschichten. Und meine.« Ingke Brodersen

Die Historikerin Ingke Brodersen war Herausgeberin der politischen Buchreihe rororo aktuell und leitete ab 1990 den Verlag Rowohlt Berlin. Für das Goethe Institut gab sie eine mehrsprachige europäische Zeitschrift heraus. An Berliner Schulen führte sie acht Jahre lang Demokratie- und Kommunikations-Trainings durch. Seit den 1990er Jahren begleitet sie Flüchtlinge beim Ankommen. Die Geschichte der deutschen Juden ist oft Gegenstand ihrer zahlreichen Publikationen.

Zehnter August 1942


An diesem Tag wurde Clara Marcus aus dem vierten Stock des Vorderhauses der Berchtesgadener Straße 37 in Berlin-Schöneberg zum »Abtransport« nach Theresienstadt geholt. Zwei Wochen später war sie tot. Diese Wohnung, in die die Gestapo eindrang, ist heute mein Zuhause.

Die Lücke im Stuck


Von der Gewalttat an jenem Tag wusste ich nichts, und den Namen von Clara Marcus kannte ich nicht, als ich an einem regnerischen Dezemberabend zum ersten Mal den Hausflur unseres künftigen Zuhauses betrat. Ich hatte höchstens einen flüchtigen Blick für die von einer großbürgerlichen Vergangenheit zeugenden Spiegelwände, die Marmorsäulen, die Jugendstil-Ornamente im Eingangsflur. Ich war erschöpft von einem langen Arbeitstag, müde und hungrig, vor meinem leeren Magen hing meine einjährige Tochter im Tragetuch, die mit mir frühmorgens auf den Flug nach Berlin gegangen war. Dort wartete in Charlottenburg ein neuer Arbeitsplatz auf mich, ich sollte ein nach der Wende gegründetes Unternehmen aufbauen und suchte eine Bleibe für meine Familie und mich.

In den letzten Monaten hatte ich mir schon etliche Mietwohnungen angeschaut, keine schien mir geeignet. Und alle teuer. An diesem Abend hatte mich der hartnäckige Makler Herr K. nach Schöneberg gelockt, ins Bayerische Viertel, dort ware