1. KAPITEL
Ruby Bells Telefon musste etwa eine halbe Sekunde, bevor sie über ein Grasbüschel stolperte, zu klingeln begonnen haben.
Zum Glück hielt sie es geistesgegenwärtig fest, als sie auf den staubigen Boden der eingezäunten Weide flog. Eine Weide, die einmal von vielen Schafen bewohnt gewesen war, auf der sich aber kürzlich eine neunzig Mann starke Filmcrew niedergelassen hatte.
„Paul“, seufzte Ruby nach einem Blick aufs Display und zuckte zusammen. Grashalme stachen durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts, der sich langsam mit dem warmen Kaffee aus ihrem halb ausgetrunkenen Pappbecher vollsog. Sie klang ein bisschen atemlos, als sie den Anruf annahm, aber ansonsten so tüchtig wie immer. Gut. Dadurch, dass sie in jeder Situation vernünftig, nicht aus der Ruhe zu bringen und sachlich war, hatte sie Karriere als Produktionsassistentin gemacht und reiste von Job zu Job durch die Welt. Über ihre eigenen Füße zu stolpern und auf dem Bauch im Dreck zu liegen, konnte sie nicht erschüttern.
„Ich brauche Sie im Büro. Wir haben hier ein Problem.“
Und das war’s. Paul hatte schon aufgelegt. Ruby wusste, dass es unmöglich war, den drängenden Ton des Produzenten zu deuten. Es konnte sich sehr wohl um eine echte Katastrophe handeln, doch es war ebenso wahrscheinlich, dass nur wieder irgendeine Hilfskraft seinen Espresso verpatzt hatte. So oder so, sie musste los.
„Bist du okay, Ruby?“
Sie blinzelte in die Mittagssonne. Obwohl größtenteils im Schatten, oder vielleicht deswegen, war die breite, kräftige Figur von Bruno, dem Chefrequisiteur, unverkennbar. Neben ihm standen zwei von den jüngeren Requisiteuren und wirkten so linkisch wie immer, wenn sie nicht gerade schwere Gegenstände und die halbe Maske durch die Gegend schleppten. Ruby war direkt vor ihren Trailern auf den Boden gekracht.
„Natürlich.“ Sie stemmte sich auf die Knie hoch und winkte ab, als Bruno ihr aufhelfen wollte. Der mit Kaffee durchtränkte Stoff ihres T-Shirts klebte ihr an der Brust. Das, was nicht feucht an ihr klebte, war mit Grasflecken und Schmutz verziert.
Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich Gedanken über ihr Outfit zu machen. Oder über ihr Haar. Ruby fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen blondes Strähnen. Ja, auch die fühlten sich staubig an.
Einen Moment später war sie aufgestanden, und ihr Tag ging weiter, trotz des unangenehmen Gefühls, von Kopf bis Fuß vor Dreck zu kleben.
„Ruby!“ Ein Schrei irgendwo links von ihr. „Wetter morgen?“
„Schön. Regen unwahrscheinlich“, rief sie, ohne langsamer zu werden. Paul wäre es sicher lieber gewesen, wenn sie sich ins Büro hätte beamen können. Da sie es nicht konnte, musste sie eben noch schneller laufen als sonst.
Das Cottage, in dem das Produktionsbüro untergebracht