DAS OHR DES WALDES
In der fernen Tiefe der großen Fördenwälder, wo sich Licht- und Schattenbäume hoffnungslos verfilzen, ragt ein hoher Hügelzug steil empor.
Er umschließt ein kleines Waldmoor, so daß die Morgensonne seine Westseite und die Abendsonne die Ostseite bescheint, während die Strahlen der Mittagssonne nur seinen Gipfel streifen.
An der Nordseite des Hügels, dicht unterhalb des Kammes, steht zwischen Dornen und Gestrüpp eine alte, eingegangene Eiche. Sie war einstmals riesenhaft gewesen, ein Ungetüm von einem Baum; jetzt ist sie hohl – der Kern ist vermodert und ganz zusammengesunken, so daß gleichsam ein Haus in dem zundrigen Stamm entstanden ist.
Es riecht säuerlich da drinnen und seifig wie nach Zecken … Die Zeit wohnt hier und zeugt jede Sekunde, wetzt ihren Zahn und frißt, was die Zeit vor ihr übriggelassen hat. Die Zeit hat einen Bettgenoß!
Ungefähr halbwegs am Stamme hoch, auf der Seite, die dem Moore zugekehrt ist, gähnt ein großes Loch aus dem Bauche des alten Eichbaums hervor. Eine flockige Daune zittert in einem Spinngewebe an dem oberen Rande der Öffnung.
Tief unten in dem Loch, dem es mit dem Sonnenlicht ebenso ergeht wie dem Hügel selbst –: die westliche Wand bekommt Morgensonne, die östliche Abendsonne, während die hintere Wand nie den Schimmer eines Strahles erhascht –, sitzt ein riesengroßer Vogel, und jeweils wie die Sonne ihren Weg über den Himmel nimmt, rückt er aus dem einen Schatten in den andern.
Es ist ein Nachtraubvogel, einer der letzten seiner Art: ein großer, braungefiederter Uhu!
Diese alte Eiche hier im Revier hat er mit gutem Bedacht erwählt: hier sitzt er gleichsam im Ohr des Waldes; jeder Laut, der von draußen her über das Moor hereindringt, fliegt zwischen den Hügelhängen hin und her und bis zu ihm in das Loch hinein. Der Uhu ist ein feistes, kräftiges Weibchen …
Sein Kopf ist größer als der einer Wildkatze, vorn flach abgeschnitten, so daß er das schönste Gesicht bildet.
Der Schnabel ist stark und gekrümmt, und die Schneiden sind so scharf wie eine Rosenschere: Sie behandeln einen Braten meisterhaft, zerlegen ein Stück Wild im Handumdrehen. Ritsch, ratsch – und sie haben selbst die Schenkelknochen eines zähen alten Rammlers durchgeschnitten.
Erfängt das Tier nicht, dieser große Uhu, erschlachtet es! Von den gelben Schnabelrändern steht ein Kranz von Federn in einem bärtigen Gekrause ab. Er trägt sein Teil dazu bei, auf sanfte und rücksichtsvolle Weise das arme gefangene Opfer irrezuführen, wenn es im Kampf um sein Leben versucht, den großen Schlund seines Gegners abzuschätzen.
Der Schlund ist abgrundtief – aber erst wenn der Uhu ihn öffnet, kann man es sehen.
Die Mundwinkel reichen bis ganz hinter die Augen und enden fast bei den Ohren; sie erschließen einen feuerroten, dampfenden Rachen, der den verhältnismäßig engen Trichter zu einem riesigen Sack bildet, darin eine ganze Stallratte verschwinden kann.
Oben auf dem Kopf, rings