Einleitung von Nikola Doll
Das Erbe des Raubs
Noch achtzig Jahre später wirkt die Frage nach dem Zusammenhang des Handelns und Sammelns von Kunst in Zusammenhang mit dem Holocaust auf die Gesellschaft ein und ist dabei kein bisschen akademisch. Die Debatten um den Nachlass Hildebrand Gurlitts oder die Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich spiegeln nach wie vor die Relevanz verfolgungsbedingter Verluste sowie das Unbehagen an der Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus wider.
Insbesondere wurden die je nach Land unterschiedlich gesetzten Maßstäbe dafür, was im Einzelfall als Raubgut gelten soll, deutlich, und damit das Missverhältnis zwischen dem historischen Ereignis des Verlusts und dessen Beurteilung in der Gegenwart entsprechend nationalen Geschichtsbildern als Problem erkennbar. So ging mit der Annahme des Nachlasses Gurlitt die Frage einher, ob mit der Überführung der unter Raubkunstverdacht stehenden Sammlung in die Schweiz Raubkunst entsprechend der dort geläufigen Definition bewertet werde. In Deutschland galten 2014 verfolgungsbedingte Entzugsvorgänge als Raubkunst, in der Schweiz Konfiszierungen.
Unterschiedliche historische, rechtliche und moralische Wertungen von Verlusten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus machten in der Diskussion um die Ausstellung der privaten Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich auf die bestehende Kluft zwischen dem Umgang mit Raubkunst in Privatsammlungen und den ethisch-moralischen Verpflichtungen wie dem Bildungsauftrag öffentlich finanzierter Museen aufmerksam. Als die Sammlung im November 2021 im Bau des Architekten Chipperfield eröffnet war, ging es nicht mehr nur um unikale Qualität. Vielmehr sahen sich Museum und Stiftung den Forderungen früherer Eigentümer, gesellschaftspolitischen Ansprüchen und rechtspolitischen Perspektiven ausgesetzt, mithin Verantwortlichkeiten, die Museen nicht mehr alleine betreffen.
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