: Marcel Brülhart, Gesa Jeuthe Vietzen, Stefanie Mahrer, Andrea F. G. Raschèr, Meike Hopp
: Nikola Doll
: Museen in der Verantwortung Positionen im Umgang mit Raubkunst
: Rotpunktverlag
: 9783858699930
: 1
: CHF 26.70
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 448
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Debatten um den Nachlass von Hildebrand Gurlitt und die Sammlung E. G. Bührle sowie die Kontroverse um koloniales Raubgut haben gezeigt, dass die Restitution von Kunstwerken und Kulturgütern zu den brisantesten Themen der Gegenwart gehört. Geht es um Raubkunst, ist oft die Rede von »problematischen Eigentumsverhältnissen«, »belasteten Kunstwerken«, »schwierigem Erbe« oder auch von »Werten, um die gestritten werden müsse«. Dabei geht es nicht allein um den materiellen Wert von Kunstwerken oder Vorgänge in der Vergangenheit. Vielmehr bestimmen heutige Sichtweisen auf gewaltsame Ereignisse in der Geschichte den Umgang mit Kunst- und Kulturgütern. Welche Folgen hat Kunstraub aus historischer, rechtshistorischer, juristischer und Museumssicht? Wie können Gedächtnisinstitutionen wie Museen ihre Verantwortung. gestalten? Und welche Rolle haben die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und ihre Nachfahren dabei? Aus unterschiedlichen Perspektiven wird Position zu den aktuellen Fragen bezogen. Fallstudien zeigen exemplarisch auf, wie Verfolgung, Flucht und Raub mit dem Aufbau von Sammlungen und dem Kunsthandel zusammenhängen.

Nikola Doll, 1970 geboren, ist promovierte Kunsthistorikerin und lebt am Zürichsee. Seit 2017 leitet sie die Provenienzforschung am Kunstmuseum Bern und setzte durch ihre Arbeit am Legat Cornelius Gurlitt entscheidende Akzente. Doll ist Lehrbeauftragte an den Universitäten in Bern und Genf.

Einleitung von Nikola Doll

Das Erbe des Raubs


Noch achtzig Jahre später wirkt die Frage nach dem Zusammenhang des Handelns und Sammelns von Kunst in Zusammenhang mit dem Holocaust auf die Gesellschaft ein und ist dabei kein bisschen akademisch. Die Debatten um den Nachlass Hildebrand Gurlitts oder die Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich spiegeln nach wie vor die Relevanz verfolgungsbedingter Verluste sowie das Unbehagen an der Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus wider.

Insbesondere wurden die je nach Land unterschiedlich gesetzten Maßstäbe dafür, was im Einzelfall als Raubgut gelten soll, deutlich, und damit das Missverhältnis zwischen dem historischen Ereignis des Verlusts und dessen Beurteilung in der Gegenwart entsprechend nationalen Geschichtsbildern als Problem erkennbar. So ging mit der Annahme des Nachlasses Gurlitt die Frage einher, ob mit der Überführung der unter Raubkunstverdacht stehenden Sammlung in die Schweiz Raubkunst entsprechend der dort geläufigen Definition bewertet werde. In Deutschland galten 2014 verfolgungsbedingte Entzugsvorgänge als Raubkunst, in der Schweiz Konfiszierungen.

Unterschiedliche historische, rechtliche und moralische Wertungen von Verlusten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus machten in der Diskussion um die Ausstellung der privaten Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich auf die bestehende Kluft zwischen dem Umgang mit Raubkunst in Privatsammlungen und den ethisch-moralischen Verpflichtungen wie dem Bildungsauftrag öffentlich finanzierter Museen aufmerksam. Als die Sammlung im November 2021 im Bau des Architekten Chipperfield eröffnet war, ging es nicht mehr nur um unikale Qualität. Vielmehr sahen sich Museum und Stiftung den Forderungen früherer Eigentümer, gesellschaftspolitischen Ansprüchen und rechtspolitischen Perspektiven ausgesetzt, mithin Verantwortlichkeiten, die Museen nicht mehr alleine betreffen.

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