: Martina Wildner
: Moritz, King Kong und der Regentanz
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446277052
: 1
: CHF 10.90
:
: Kinderbücher bis 11 Jahre
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gem insam kann man alles schaffen! Eine spannende Freundschaftsgeschichte von Martina Wildner, frech und witzig bebildert von 'Lotta-Leben'-Illustratorin Daniela Kohl
Moritz interessiert sich wahnsinnig für Natur und ist begeistert, als seine Klasse einen Schulgarten anlegt. Doch als Dennis ihn in seine Clique aufnehmen will, wird Moritz' Fürsorge für die zarten Pflänzchen auf eine harte Probe gestellt: Um sich als cool und würdig zu erweisen, soll Moritz den Schulgarten nicht gießen. Und es ist heiß, richtig heiß. Moritz will nicht als Streber dastehen. Aber die Blumen vertrocknen lassen? Das geht zu weit! Zum Glück gibt es da noch seine beste Freundin Juna, die sagt, was sie denkt, und einfach mal macht. Gemeinsam setzen die beiden alles daran, es an diesem Wochenende regnen zu lassen - auch wenn dafür ein Kellereinbruch, eine Schrebergarten-Beschattung und ein Regentanz vor dem Schulhof nötig sind!

Martina Wildner, 1968 im Allgäu geboren, studierte Islamwissenschaften und Grafikgestaltung. 2003 erschien ihr erstes Buch, seither wurde sie für ihre Werke unter anderem mit dem Peter-Härtling-Preis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Moritz, King Kong und der Regentanz (2023; Illustrationen: Daniela Kohl) ist ihr erstes Kinderbuch bei Hanser. Martina Wildner ist mit ihrer Jugendliebe verheiratet, hat drei Töchter und lebt in Berlin.

You failed


Als ich von der Schule nach Hause kam, goss ich auch erst einmal. Auf unserem winzigen Balkon hatte ich ebenfalls Sonnenblumen angesät, verschiedene Sorten, die so fabelhalte Namen trugen wieVanilla Ice,Miss Mars oderTeddybär.Vanilla Ice, die in ein paar Wochen cremeweiß blühen würde, schoss regelrecht in die Höhe; sie würde viel zu groß für unseren Balkon, mir fehlten außerdem die passenden Töpfe.Teddybär dagegen war klein und niedlich. Sie sollte laut Samenpackung eine dicht gefüllte, flauschige Blüte bekommen, daher der Name.Miss Mars war eine rote Sonnenblume.

Nach dem Gießen warf ich das Unkraut, das ich gezupft hatte, in den Biomülleimer in der Küche. Da sah ich unten im Hof die Golawski. Sie stand bei den

Papiertonnen und riss mit aller Gewalt Pappen entzwei. Es machte ein lautes, bösartiges Geräusch, das im engen Hof hallte.

Jetzt trampelte sie mit ihren schwarzen Schnürstiefeln auf den Pappen herum. Wenn sie eine Hexe wäre, dachte ich, könnte sie die Kartons ganz ohne dieses Getöse in die Tonnen zaubern. Nein, eine echte Hexe war sie niemals.

Kurz danach kam Mama nach Hause.

»Na, wie war s in der Schule?«, fragte sie.

»Unsere Sonnenblumen sind mickrig. Sie brauchen so viel Wasser. Wir kommen mit dem Gießen nicht hinterher.«

»Wären denn deiner Meinung nach andere Pflanzen besser?«

»Weiß nicht. Sonnenblumen sind an sich schon gut, weil sie sehr unempfindlich sind. Aber vielleicht müsste man etwas anpflanzen, das Trockenheit besser aushält, so was wie Fetthenne, Königskerze, Wollziest. Das habe ich auch am Anfang des Wettbewerbs vorgeschlagen. Aber alle waren für Sonnenblumen.«

Mama tätschelte mir die Haare. »Ach, Moritz, mein Schatz.«

Ich drehte meinen Kopf ein bisschen weg, Mamas Hände waren feucht.

»Iiih, du schwitzt.«

»Entschuldige.«

»Wusstest du«, fuhr ich fort, »dass Sonnenblumen gar nicht in Europa heimisch sind?«

»Ach! Aber es gibt sie doch schon seit Jahrhunderten.«

»Helianthus annuus kommt ursprünglich aus der Gegend um Mexiko und kam etwa1510 nach Europa. Um1800 wurden in Russland erstmals Sonnenblumen gezüchtet, um das Öl zu gewinnen.«

Mama schüttelte den Kopf.

»Was du alles weißt!«

Das war das Schöne an Mama. Bei ihr musste ich mich nie schämen, mein unmögliches Nerdwissen zu verbreiten. Ich kippte ein Glas Leitungswasser in mich hinein. Mama auch.

»Aber dass ihr kein Hitzefrei hattet?«, sagte sie dann.

Ich winkte ab. »Der Schulleiter hat das Thermometer in den Keller gehängt.«

»Ah. Und sonst? Schule und so?«

»Na ja. Dennis ist blöd.«

»Das war er ja schon immer, oder?«

Wegen der Frühschicht hatte Mama nachmittags Zeit und wir gingen ins Freibad. Als wir abends zurückkamen, hockte Juna auf den Stufen vor unserer Etage und spielte auf ihrem Handy.

»Hast du dich ausgesperrt?«, fragte Mama sie.

»Nein, ich sitz hier bloß.«

»Ist das nicht langweilig?«

»Spannender als in der Wohnung. Hier kommt wenigstens ab und zu wer vorbei. Außerdem ist es kühler.«

»Das ist ein Argument«, sagte Mama und schloss die Tür auf.

»Mama, darf ich bis zum Essen noch ein bisschen mit Juna spielen?«

»Du meinst, mit Junas Handy  Ja, mach nur.«

Ich setzte mich zu Juna auf die Stufen. »Was spielst du?«

»Ach, dies und das.«

»Darf ich auch mal?«

»Ja, von mir aus.« Juna hielt mir ihr Handy hin. Es hatte einen Sprung im Display und sah auch sonst ziemlich ramponiert aus.

Während ich spielte, hockte Juna neben mir und wippte mit dem linken Fuß. Dann mit dem rechten. Dann gähnte sie.

»Was wohl passiert, wenn man Löcher in die Luft starrt?«, fragte sie nach einer Weile.

»Hä?« Ich flog zu Boden und zerschellte.You failed.

»Ich meine, was passiert da?«, fragte Juna.

»Vielleicht entsteht ein Vakuum«, schlug ich vor.

»Ein was?«

»Vakuum. Ein Raum ohne Luft.«

»Hm, interessant. Und was meinst du, wie groß wäre der wohl, dieser Raum?30 Zentimeter oder bloß einen Millimeter? Und welche Form hätte das Loch, das entsteht?«

»Rund natürlich«, sagte ich.

»Warum?«

»Weil halt  Seifenblasen sind doch auch rund. Aber die Löcher wären natürlich nicht so groß. Sie wären vielleicht nur so.« Ich zeigte mit den Fingern die Größe einer Murmel.

»So klein?«

»Ein Auge ist ja nicht so groß. Die Lochgröße könnte ja eventuell was mit der Größe des Auges zu tun haben.«

»Vielleicht hängt es nicht von der Größe des Auges, sondern von der Augenkraft ab. Starke Augen können große Löcher erzeugen, schwache Augen nur kleine.«

»Hm«, sagte ich und zerschellte wieder.

In dem Moment hörten wir von oben Schritte. Ich wusste sofort, wer da kam.

»Die Golawski«, flüsterte ich. »Sie wird gleich wieder schimpfen.«

»Wieso?«

»Was weiß ich. Es gibt immer Gründe. Schnell weg hier.«

Aber es war zu spät. Die Golawski räusperte sich, wir sahen ihre schwarzen Stiefel auftauchen.

»Wie schön, dass ich dich gleich hier treffe«, sagte sie an Juna gewandt. Mich beachtete sie gar nicht. »Ist deine Mutti da?«

»Nein«, sagte Juna. »Sie kommt erst in einer halben Stunde.«

»Ist sie noch auf Arbeit?«

»Nein, beim Arzt.«

»Ist sie denn krank?«

»Nein.«

»Wieso geht sie dann zum Arzt?«

»Äh, weiß nicht.«

Die Golawski blickte irgendwie unwirsch an die Decke. »Ach je. Das ist ja das Problem in der heutigen Zeit. Alle rennen zum Arzt, obwohl sie kerngesund sind. Kein Wunder, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht.«

Natürlich. Egal, was man sagte oder machte, es war falsch und trug zum Untergang der Welt bei.

Die Golawski schaute nicht mehr zur Decke, sondern zu Juna.

»Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Ich wollte wissen, ob ihr den Schlüssel für den hinteren Keller habt.«

»Wir haben eigentlich nur einen Keller. Ganz vorne.«

»Das weiß ich. Aber es könnte dennoch sein, dass ihr den Schlüssel für den hinteren Keller habt.«

Juna runzelte die Stirn. Auch ich wusste nicht, was genau die Golawski meinte.

»Egal«, sagte sie. »Ich frag nachher deine Mutti. Wenn sie vom Arzt zurück ist.«

Darauf drehte sich die Golawski um und stieg wieder hinauf.

Als die Tür oben ins Schloss fiel, fragte Juna: »Ob sie wohl in diesen Schuhen schläft?«

»Pfff«, machte ich.

»Vielleicht sind sie festgewachsen.«

»Das gibt s doch nicht.«

»Doch, doch. Meine Mum ist mal an ihrem Ehering festgewachsen. Ihre Finger sind zu dick geworden und sie hat ihn nicht mehr abbekommen. Das war doof, denn sie hatte sich ja gerade erst getrennt. Sie ist dann wegen des Rings zum Arzt.«

»Und was hat der gemacht?«

»Er hat ihn wegoperiert.«

»Im Ernst?«

»Nein, in Narkose.«

You failed. Wieder war ich an dieser blöden Klippe zerschellt. Aber mit dem blöden Sprung im Display sah man auch nichts.

»Du bräuchtest ein neues Glas«, sagte ich.

Juna lachte nur trocken. »Sag das mal meiner Mum. Aber hast du eine Ahnung, was die Golawski mit dem Schlüssel will?«

»Nein.«

»Und was war eigentlich mit den Monstern in ihrer Wohnung?«

»Nichts.« Ich winkte ab. Irgendwie war mir das Thema unangenehm.

»Vielleicht fühlt sie sich von den Monstern gestört und möchte sie in den Keller sperren.«

»Ach, Juna. Vermutlich war das gar kein Monster, sondern eines ihrer ausgestopften Tiere.«

»Was für ausgestopfte Tiere?«

»Papageien, Koboldmakis und sogar ein Krokodil.«

Juna war nur kurz beeindruckt, dann konterte sie. »Ausgestopfte Tiere sind tot und bewegen sich nicht.«

Ich schwieg. Juna hatte recht.

»Aber wir könnten im Keller ja mal...