Kapitel 3
Obwohl es Höfer innerlich widerstrebte, es musste sein, wenn man einen Toten in seinem Haus fand.
Er zog das Handy aus der Tasche.
»Inspektion Mödling!«, quakte es.
»Hören Sie, ich habe gerade eine Leiche gefunden.«
Schweigen im Lautsprecher, dann ein kurzes Auflachen. »Ich bitte Sie, der Fasching ist längst vorbei. Lassen Sie sich etwas Besseres einfallen.« Es tutete aus dem Lautsprecher. Hatte der tatsächlich aufgelegt?
»Haben sie dem Mann ins Hirn geschissen?«, ärgerte er sich.
Er wählte erneut.
»Major Höfer!«, meldete er sich diesmal, als abgehoben wurde. »Verbinden Sie mich mit Chefinspektor Plesser, aber fix!«
Nach einer sekundenlangen Pause schmetterte der Beamte ein »Jawoll, Herr Major!« zurück. Da schau her, kaum spricht man einen Titel aus, wird er zackig.
»Hallo, Herr Major«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Wie geht’s? Ist dir schon fad in der Pension?«
»Bin nicht in Rente und das weißt du«, knurrte er.
»Dann hast du Sehnsucht nach mir?«, lachte Plesser.
»Den Teufel hab ich!«, brummte Höfer. »Ich hätte dich nicht aus deinem Büroschlaf gerissen, wenn nicht etwas völlig Unerwartetes geschehen wäre. Ich habe eine Leiche gefunden.«
»Was? Ich hoffe aber nicht im Keller.« Plesser schien an einen Scherz zu glauben.
Höfer erzählte kurz, wie es zu dem Fund kam.
»Hättest du nicht die Mauer stehen lassen können? Jetzt bekomme ich Arbeit, die mir im Augenblick gar nicht passt«, jammerte Plesser.
»Ich helfe dir«, sagte Höfer. »Ich wollte dich ohnehin bitten, mich einzubeziehen. Mit meiner jahrelangen Erfahrung bin ich sicher eine große Hilfe.«
»Untersteh dich! Du bist nicht mehr im Dienst. Lass die Finger davon!«
»Ja, ja!«, brummte Höfer und dachte daran, wie er immer mit Verboten umgegangen war. Sie scherten ihn nicht.
»Pass auf, ich schicke dir meine besten Männer. Ich muss nur unseren Pathologen erwischen. Hoffentlich treibt er sich nicht auf der Straße herum.«
»So einen brauche ich nicht. Schaut er sich nach Weibern um und überlegt, wie er sie auf den Tisch in der Prosektur bringt?«
»Nein, nein, Doktor Piker ist ein hervorragender Mann. Er hat nur einen Fehler – er übt pausenlos für einen Triathlon. Ich fürchte nur, dass er den nie bestreiten wird.«
*
Warten war nicht so seine Sache. Es juckte Höfer in den Fingern, die Leiche selbst zu untersuchen, doch er zähmte sich. Er wusste, dass die Spurensicherung an jedem Tatort alles registriert, ehe der Pathologe den Leichnam begutachten durfte. Wenn er nun etwas berührte oder angriff, konnte die Spusi daraus vollkommen falsche Schlüsse ziehen.
Aber einfach nur dasitzen und in die Luft schauen konnte er auch nicht.
Er sah sich noch einmal die Mumie an. War sie männlich oder weiblich? Er konnte es nicht feststellen.
Im Augenblick ist es egal, dachte er, aber wer zieht einen Pfeiler bis zur Decke hoch, um eine Leiche einzumauern? Da hätte doch auch ein Block mit einem Meter Höhe genügt, den man als Ablage kaschierte. Gab es vielleicht einen weiteren Leichnam oberhalb? Das würde Sinn ergeben.
Er holte eine Leiter und nahm das Maurerfäustel zur Hand. Kaum hatte er die ersten Schläge gemacht, um einen Hohlraum zu finden, stand Savic im Zimmer.
»Was du machen, Chefe? Ah, will nix wissen. Chefe, Lieferung ist gekommen, du unterschreiben, ja?«
Verärgert stieg Höfer von der Leiter. »Das hättest du auch machen können, Sabo.«
»Na, na, nix meine Baustelle. Du machen.«
Gemeinsam gingen sie zur Haustüre.
»Ah, endlich weiter verputzen«, freute sich Savic.
»Ja, aber mach das anständig, kein Husch-Pfusch, verstanden?«, grantelte Höfer.
»Chefe, du sehen, wird Kunstwerk!« Savic küsste seine Fingerspitzen.
»Kunstwerk brauch ich keines, nur einen anständigen Putz.«
Kaum war der Wagen weg, der die Baumaterialien geliefert hatte, blieben zwei Autos vor dem Haus stehen. Aus dem PKW stiegen zwei in Zivil gekleidete Personen und kamen auf ihn zu.
»Herr Major?«, fragte der eine. Höfer nickte. »Abteilungsinspektor Kerbl!« Er reichte ihm die Hand.
»Gruppeninspektor Rothe!«, sagte der andere.
»Dass ihr auch schon da seid!«, knurrte Höfer.
»Glauben Sie, wir sitzen Däumchen drehend in der Inspektion und warten, dass etwas geschieht? Wir haben genug anderes zu tun«, wies ihn Kerbl zurecht.
Höfer musste innerlich grinsen. Ein Mann mit Charakter, dachte er, in Wien hatten seine Untergebenen nie Widerspruchsgeist bewiesen. Mittlerweile standen drei weiß gekleidete Spurensicherer vor ihm.
»Also, dann kommen Sie herein mit Ihrer Truppe. Schuhe ausziehen müssen Sie nicht.«
Kerbl sah ihn einschätzend an, er wusste anscheinend noch nicht, was er von ihm halten sollte. Dann fiel ihm ein, dass er diesen Mann kannte. Major, der Name Höfer, das markante Gesicht – er hatte doch seinem Freund Manfred Sopic die Identität dieses Herrn zugeschickt, als der auf Mörderjagd am Gardasee war. Wieso tauchte dieser Mann jetzt in Mödling auf? Er beschloss vorerst, es für sich zu behalten.
Kerbl drehte sich zu seinen Männern um. »Also Leute, dann gehen wir es an. Herr Major, Sie führen uns?« Dann wandte er sich an einen dicken Mann: »Max, alles genau nach Vorschrift, ja?«
Höfer lachte auf. »Ha! Vorschriften brauche ich keine. Ergebnisse sind mir wichtiger.«
»Und wenn die Ergebnisse vor Gericht nicht halten, weil die Vorschriften nicht eingehalten wurden?«, ätzte Kerbl.
Der Mann ist gut, dachte Höfer, so einen hätte ich gerne in Wien gehabt.
»Na, dann kommen Sie«, brummte er. Seine Rolle als grantigen Mann konnte er nicht so schnell aufgeben.
Kurz darauf standen sie vor dem Pfeiler.
»Heute ist mein Glückstag«, sagte Max, strich über seinen Bauch und stieß pfeifend den Atem aus. »Endlich eine Leiche zu ebener Erde.«
»Apropos!«, ließ sich der Major vernehmen und wandte sich an Kerbl. »Haben Sie schon jemals mit einem Mord zu tun gehabt?«
»Es ist nicht der erste und sicherlich nicht der letzte.« Kerbl ging der Major langsam auf die Nerven. »Alle wurden aufgeklärt und die Mörder gefasst. Von mir!«, setzte er noch hinzu.
»Oho! Sie sind also sozusagen der Sherlock Holmes der Mödlinger Polizei.« Höfers Sarkasmus war nicht zu überhören.
»Mit Verlaub, Herr Major«, entgegnete Kerbl heftig. »Wir sind hier nicht in der Einöde. Oder glauben Sie, dass Morde nur in Wien geschehen? Und noch etwas. Es waren nie Einzelgänge, sondern immer Teamarbeit, die uns Erfolg brachten.«
Hatte ihn dieser Kerbl durchschaut? Höfer beschloss, nicht darauf zu antworten.
Max kniete vor dem Pfeiler und entfernte vorsichtig Ziegel und Schuttreste von der Mumie. Die beiden anderen untersuchten die Steine auf mögliche Fingerabdrücke.
Als er fertig war, stand Max mühsam keuchend auf.
»Wastl, ich hoffe, der Doc wurde verständigt«, sagte er zu Kerbl.
»Selbstverständlich. Aber du weißt ja, wie er ist.«
»Wie ist wer?«, ließ sich eine Stimme vernehmen.
Ein Mann schob sein Rennrad in den Raum. Ausgerüstet mit Radlerhose, einem engen bunten Leibchen und einem Sturzhelm.
»Was haben Sie hier zu suchen?«, schrie Höfer auf. »Wollen Sie in meinem Wohnzimmer ein Rundrennen veranstalten?«
»Hallo Doc!«, sagte Kerbl. »Gut, dass du schon da bist.«
»Wie immer habt ihr mich wieder zur falschen Zeit erwischt«, nörgelte der Doktor. »Könnt ihr eure Toten nicht dann finden, wenn ich nicht trainiere?«
»Darf ich vorstellen? Doktor Eugen Piker, unser Pathologe.«
Kerbl sah die zweifelnde Miene Höfers.
»Lassen Sie sich nicht täuschen, Herr Major. Unser Doc hat allerhand drauf. Bei unseren Ermittlungen kamen wir durch ihn schon öfter auf die richtige Spur.«
»Einen eigenartigen Arztkittel hat er an«, brummte Höfer.
Piker lehnte sein Rad an die Mauer und ging zu dem Pfeiler.
»Sind meine Leute schon da?«, fragte er Kerbl.
»Gesehen habe ich sie nicht«, entgegnete dieser.
»Dann habe ich ja Zeit, die Sache genauer zu betrachten.«
Er hockte sich vor der Mumie hin.
»Hmm!«, sagte er schließlich und kratzte sich am Kopf. »Auf den ersten Blick sehe ich keine Verletzungen. Es könnte also ohne Weiteres sein, dass der Mann … Halt! … nein, … es ist eine Frau.« Er drehte sich zu Kerbl um. »Es wäre doch möglich,...