»Du hättest nicht herkommen dürfen, Miles!« Maureen Staffort flocht nervös die Finger ineinander. Ihr herzförmiges Gesicht war totenblaß. Sie hatte wieder diesen verschreckten Ausdruck in den Augen, der Miles Auberty beunruhigte. »Wenn Jason dich hier findet…«
»Mach dir keine Sorgen, Maureen! Jason ist zur neuen Siedlung nach Windriver gefahren. Er wird in der Stadt bleiben. Das hat er mir selbst gesagt. Als sein Kompagnon weiß ich über seine Unternehmungen Bescheid.«
»Jason ändert oft seine Pläne. Er ist unberechenbar.« Maureen trat an die Fensterfront, die wie ein Gemälde einen Ausschnitt der Rocky Mountains einrahmte. Hinter dem pittoresken Bergmassiv sank blutrot die Sonne. Es würde bald dunkel sein. In den Bergen kam die Dunkelheit so rasch, als würde jemand ein schwarzes Tuch über die Landschaft werfen.
»Maureen, ich mußte einfach kommen.« Miles trat neben sie. Er überragte sie um Kopfeslänge, ein attraktiver Mann mit intelligenten hellen Augen, klargeschnittenen Gesichtszügen und dunkelblondem, leicht gelocktem Haar. »Am Telefon klang deine Stimme so verstört. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Miles, ich habe Angst.« Sie umschlang seine Hüften. Ihr blasses Gesicht war zu ihm aufgerichtet. In ihren ausdrucksvollen grünen Augen stand blanke Furcht. »Das Gefühl, daß Jason von unserer Affäre weiß, läßt mich nicht los. Und Jason ist kein Mensch, der etwas klaglos hinnimmt. Wenn er sich verletzt fühlt, schlägt er doppelt zurück.«
»Du solltest endlich den Mut finden, ihn um die Scheidung zu bitten«, drängte Miles, »das ist doch kein Leben für dich. Er wird dich zerstören, bis nichts mehr von dir übrig ist. Du bist ja bereits jetzt das reinste Nervenbündel.«
»Ich werde mit ihm reden«, versprach Maureen. »Ich muß nur einen günstigen Augenblick abwarten.«
»Je länger du wartest, um so schlimmer wird es für dich.« Er führte sie zu dem Queens-Anne-Sofa und zog sie an seine Seite. In dem Hauskleid aus bedruckter Baumwolle wirkte sie zerbrechlich wie eine kostbare Porzellanfigur. Die Fülle der blonden Locken schien fast zu schwer für ihr zartes Gesicht. »Du hättest Jason niemals heiraten dürfen«, sagte er mit sanftem Vorwurf.
»Später ist man immer klüger«, entgegnete sie seufzend. »Ich stand ganz allein auf der Welt. Jason war wie ein Vater zu mir. Die Probleme begannen erst nach Jasons Autounfall. Nach der doppelten Gehirnerschütterung, die Jason bei dem Unfall erlitten hatte, klagte er ständig über Kopfschmerzen. Dann begann er zu trinken.« Maureen räusperte sich nervös. »Sobald er trinkt, verwandelt er sich in einen anderen Menschen, in einen unberechenbaren, gewalttätigen Psychopathen. Wenn ich dann nur seine laute, höhnische Stimme höre, die mich mit Schimpfwörtern überschüttet, beginne ich vor Angst zu zittern.«
»Konntest du ihn nie zu einer Therapie überreden?«
»Miles, glaub mir, ich habe alles versucht. Aber er weigert sich strikt, einen Therapeuten aufzusuchen, und behauptet, er hätte kein Alkoholproblem.«
»Das geht vielen Alkoholikern so. Sie behaupten, jeden Tag mit dem Trinken aufhören zu können, aber sie tun es nicht.«
»Ich kann so nicht weiterleben. Ich gehe darüber zugrunde!« Sie barg den Kopf an seiner Schulter und weinte.
»Das mußt du auch nicht. Du hast ja mich!« Er streichelte ihr liebevoll den zuckenden Rücken. »Ich liebe dich, Maureen!«
»Ich liebe dich auch!« flüsterte sie erstickt. »Seit ich dich kenne, fühle ich mich nicht mehr so verzweifelt allein. Du bist der Einzige, mit dem ich über meine Probleme sprechen kann. Vor anderen schäme ich mich. Sie würden mir auch kaum glauben. Wenn Jason in Gesellschaft ist, kann er sehr charmant sein. Immer wieder habe ich ihm verziehen und gehofft, seine Sucht wäre nur eine Phase, die vorübergehen würde.«
Maureen schrak hoch. Mit aufgerissenen Augen starrte sie zum Fenster hin. »Waren da nicht eben Schritte?« flüsterte sie angstvoll.
»Ich habe nichts gehört. Sicher war es nur der Wind!« Er schloß fest die Arme um sie. »Du wolltest mir doch zeigen, was du heute gemalt hast«, versuchte er sie abzulenken.
»Gut, gehen wir in mein Atelier!« Maureen ging ihm voraus die Wendeltreppe hoch. Ihr Atelier lag oben am Ende des Flurs. Der große Raum hatte schräge, holzvertäfelte Wände und war von einem schweren Farb- und Terpentingeruch durchdrungen. Durch das deckenhohe, riesige Glasfenster strömte ungehindert Tageslicht. An der Seitenwand stapelten sich ungerahmte Bilder.
»Das reicht ja fast schon für eine Ausstellung«, stellte Miles fest.
Maureens blasse Züge belebten sich. Ein fanatischer Glanz trat in ihre Auge