Buch II
IM NAMEN GOTTES
1
Noch vor Sonnenaufgang krähte ein Hahn durchdringend. Kurz darauf dröhnte dumpf eine Glocke und weckte sie vollends. Durch das Schnitzwerk des Fensters drang die Dämmerung mit ihrem grauen Licht. Die drei Mädchen, mit denen Aziza das Zimmer teilte, hatten sich bereits von ihren Lagern erhoben, nahmen ihre Bettdecken weg und drapierten stattdessen Sitzdecken über die Matratzen. Dann legten sie die Hände vor die Brust und schlüpften murmelnd eine nach der anderen hinaus auf den breiten Gang. »Wie Bienen, wenn der Tag anbricht«, dachte Aziza, sprang auf und eilte ihnen hinterher. Nun drängten aus allen Türen Mädchen auf den Gang und liefen die Treppe zum Waschraum hinunter, der im Erdgeschoss lag. Sie wuschen sich an weißen Marmorbecken unter einem hohen Gewölbe, das mit blauen und weißen Kacheln ausgekleidet war. Nach der Reinigung des Körpers wechselten sie das Gewand. Auch Aziza verfügte jetzt über einen hölzernen Schrank. Die junge Frau, eine Araberin, die neben ihr stand und sich ihr als Aysha vorgestellt hatte, zog eine funkelnde Halskette aus ihrem Spind. Stolz legte sie das Schmuckstück um und steckte anschließend glitzernde Hänger an ihr Ohr. Am Ende holte sie einen glitzernden, goldverzierten Armreif hervor.
»Hier, nimm dies«, sagte sie und überreichte Aziza das edle Schmuckstück.
Ergriffen von der schlichten Geste, fuhr Aziza mit der Fingerspitze über das filigrane Metall. Behutsam legte sie es sich ums Handgelenk.
Aysha drehte den Armreif behutsam so herum, dass die Verzierungen gut auf der zarten Haut von Aziza zu sehen waren. Aziza registrierte erstaunt, dass sich die Hände der jungen Frau anfühlten wie Rosenblätter im Wind. Noch nie hatte sie jemand mit solch zarten Händen berührt.
»Wir sind noch nicht fertig. Auch wenn wir unter unseren Gewändern nicht zu sehen sind, so schmücken wir uns. Wer weiß, vielleicht wirst du die nächste Frau des Sheikhs oder er gibt dir einen Mann zum Gemahl, der ihm wichtig ist. Dann wird dieser von deiner Schönheit so geblendet sein und blind vor Liebe, dass er dich ein Leben lang auf Händen tragen wird. Also, beweg dich nicht«, befahl Aysha und schminkte sie mit einer wohlriechenden weißen Paste, und mit einer dunklen Masse, die nach Henna und Jasmin roch, färbte sie Azizas Augenlider dunkel und ihre Lippen rubinrot glänzend. Zum Schluss tupfte ihr Aysha vorsichtig einige Tropfen Rosenduft auf Hals und Nacken.
Am späten Vormittag stand Aziza so geschmückt an einem der Fenster im oberen Stockwerk mit den drei Frauen und blickte auf die Oliven- und Feigenbäume im großen Innenhof hinunter. Was ihre Mutter wohl gerade tat? Noch vor einer Woche hatte sie mit Silt auf de