: Philipp Austermann
: Ein Tag im März Das Ermächtigungsgesetz und der Untergang der Weimarer Republik
: Verlag Herder GmbH
: 9783451830037
: 1
: CHF 12.20
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das am 23. März 1933 vom Reichstag beschlossene Ermächtigungsgesetz zog einen Schlussstrich unter die Weimarer Verfassung. Von den Nationalsozialisten selbst wurde es als wichtige Legitimationsgrundlage ihrer Herrschaft verstanden. Die Demokratie in Deutschland fand mit dem Gesetzesbeschluss ihr vorläufiges Ende. Der Staatsrechtler Philipp Austermann, der die Geschichte und die Rechtsgrundlagen des deutschen Parlamentarismus seit Jahren erforscht, erklärt anlässlich des 90. Jahrestages des Gesetzes, warum und wie es zustande kam, ob es überhaupt legal war, welche verfassungsrechtlichen und politischen Folgen es hatte und welche Schlüsse nach 1945 daraus für das Grundgesetz gezogen wurden.

Philipp Austermann, Prof. Dr., Jahrgang 1978, Professor für Staats- und Europarecht am Zentralen Lehrbereich der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl. Zuletzt erschien von ihm: 'Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments' (2020).

Ein Tag im März


Wir kehren zum Ausgangspunkt dieses Buches zurück: Am 23. März 1933, 14 Uhr, stand die zweite Sitzung des neu gewählten Reichstages in der Krolloper an.

1. Gespräche innerhalb der Zentrumsfraktion


Am Vormittag vor der Parlamentssitzung kamen die Zentrumsabgeordneten um 11:15 Uhr in ihrem angestammten Fraktionssaal im teilweise noch intakten Reichstagsgebäude zusammen, um sich weiter auf die Sitzung vorzubereiten. Zuvor hatte der Fraktionsvorstand getagt. Der Abgeordnete Hackelsberger hatte von seinem Treffen mit Reichsinnenminister Frick berichtet. Dieser hatte den Willen Hitlers bekräftigt, das Ermächtigungsgesetz in der anstehenden Sitzung verabschieden zu lassen.[1] Der Ältestenrat, der über die Tagesordnung befinden musste, sollte in der Mittagszeit tagen. Er würde, das stand vorher bereits fest, übereinkommen, das Ermächtigungsgesetz abschließend im Plenum zu beraten.

Kaas berichtete der Fraktion von seinen Gesprächen mit Hitler vom Vortag und von dessen inhaltlichen Zusagen zur künftigen Politik und zu einem Informationsgremium, an dem das Zentrum beteiligt sein solle. Der Parteivorsitzende hob erneut die Zwangslage der Fraktion hervor. Sie stand vor der Aufgabe, „die eigene Seele“ zu bewahren und zugleich die unangenehmen Folgen einer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes zu bedenken. Kaas stellte klar, dass die Reichsregierung ihre Pläne auf jeden Fall durchsetzen werde und dass der Reichspräsident und die Deutschnationalen ihr nicht in den Arm fallen würden.[2] Der Parteivorsitzende war zwar – nolens, volens – für die Annahme, lehnte es aber ab, einen Vorschlag zu machen, wie die Fraktion sich zu dem Ermächtigungsgesetz im Reichstag stellen solle.[3]

Das ist einerseits bemerkenswert, weil Kaas als Parteivorsitzender hätte führen und einen Vorschlag machen müssen, zumal er sich ja eine Meinung gebildet hatte. Andererseits war diese Zögerlichkeit Ausdruck seines Charakters, seines Lebensweges, seiner körperlichen Disposition und seiner Stellung innerhalb der Partei. Der aus Trier stammende hohe Geistliche und Kirchenrechtsprofessor hatte den Parteivorsitz 1928 als Außenseiter übernommen und war kein mitreißender Anführer. Ihm fehlten die politische Erfahrung und die nötige Gesundheit, um das Zentrum kraftvoll durch die schwere Zeit zu steuern.[4] Seine Stellung als Vorsitzender war zusätzlich dadurch geschwächt, dass er sich häufig nicht in Berlin, sondern bei seinem engen Bekannten Eugenio Pacelli (dem früheren apostolischen Nuntius in Deutschland und späteren Papst Pius XII.) in Rom aufhielt. Das hatte immer wieder Kritik hervorgerufen.[5] In den entscheidenden Tagen um den 23. März 1933 war Kaas seiner Partei wie schon zuvor keine Stütze. Er war mehr ein Getriebener der politischen Geschehnisse als der Anführer seiner Partei. Auch der Fraktionsvorsitzende Ludwig Perlitius trat kaum in Erscheinung; die Sitzungsprotokolle der Fraktion vermerkten keinen einzigen Redebeitrag. Dafür meldete sich der ehemalige Reichskanzler Heinrich Brüning zu Wort, der ein schwieriges Verhältnis zu Kaas hatte. Brüning hatte sich wenige Tage zuvor in der Kölner Wohnung eines Zentrumsabgeordneten mit Kaas getroffen. Beide hatten sich lebhaft darüber gestritten, wie sich die Fraktion zum