»Weisheit siegt über Bosheit.«
Bonifatius an den Jüngling Nithard, Brief 9
»Liebhaber der Schönheit«
Die Mörderbande plünderte das Lager und raffte, was ihr in die Hände fiel.1 Hastig schnappten die Räuber die schweren Kisten und trugen sie zu den Schiffen der Ermordeten am Ufer der Boorne, eines kleinen Flusses unweit von Dokkum in der heutigen niederländischen Provinz Friesland. An Bord befanden sich Proviant und einige Gefäße mit Wein. Gierig begannen die Männer zu trinken, als ob sie sich für den Höhepunkt ihres Beutezugs, die Verteilung der geraubten Kostbarkeiten, stärken wollten. Als der Zeitpunkt nahte, disziplinierte sich die Horde und fing an zu beraten, wie viel jedem von ihnen zustehe. Die Verhandlungen waren von kurzer Dauer. Gier und Neid siegten, und die Männer droschen aufeinander ein. Nur wenige überlebten das Gemetzel. Die Sieger öffneten die Kisten und wähnten sich schon im Gold- und Silbersegen. Doch der Schatz, den sie entdeckten, war von anderer Natur: Bücher und Reliquien lagen vor ihnen. Es war der Seelenschatz des Bonifatius, seine geistliche Wegzehrung, der treue Begleiter seiner Missionsreisen, der Wächter seiner Seele und die unverbrüchliche Verbindung zum Himmel.
Bevor er im Herbst 753 von Mainz aus zu seiner letzten Missionsreise zu den Friesen aufbrach, hatte Bonifatius seinen bischöflichen Nachfolger Lul in Mainz gebeten: »Und leg in meine Bücherkiste auch ein Leintuch bei, darin mein zermürbter Leib eingehüllt werden kann.«2 Der Greis spürte seinen nahen Tod, hatte er doch die damalige Lebenserwartung schon weit übertroffen. Seine Reisebibliothek umfasste etwa 20 bis 25 Werke. Herz des frommenVademecum war die Heilige Schrift. Ob der Missionsbischof sie als Gesamtwerk oder nur in Teilabschriften mit sich führte, ist nicht sicher. Überliefert ist, dass er seine Brieffreunde und Briefreundinnen aus der angelsächsischen Heimat mehrfach gebeten hat, für ihn biblische Texte