AVERY
Der Horizont hinter der endlos wirkenden Brachfläche flimmerte vor meinen Augen, während Ryker und ich in seinem Wagen über den Highway fuhren. Ich wusste nicht, wie lange ich schon in die untergehende Sonne starrte, aber es fühlte sich gleichzeitig ewig an und als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Noch immer hatte ich das Geschrei der Leute im Kopf. Spürte die Hand, die meine fest umschlossen hielt, während Ryker mich im Dunklen durch den Irrgarten an Menschen zerrte. Und sah Isla, meine beste Freundin, in meinem Arm liegen. Silberne Adern um ihren Mund herum, die Lippen vor Erstaunen oder Schreck leicht geöffnet. Ihre Arme waren kalt gewesen. So verdammt kalt.
Ich fröstelte, und beinahe sofort fuhr Ryker zu mir herum. Seine Haltung war angespannt, war sie schon die ganze Zeit, seit wir von Islas Hochzeitsfeier geflüchtet und in seinem Wagen davongefahren waren. Wir hatten kein Wort miteinander gesprochen, aber jetzt tauschten wir einen kurzen Blick. Einen, der Tausende Fragen stellte und keine einzige beantwortete.
Er atmete tief durch und musterte mich, als würde er mich nach Wunden absuchen, die nicht da waren. Oder doch – sie waren da, aber nicht sichtbar. Sie brannten in meinem Inneren wie ein Feuer, das ich nicht mehr löschen konnte. Vielleicht nie wieder würde löschen können. Sein Blick blieb kurz an meinem Kleid hängen, bevor er wieder nach vorn auf den Highway sah.
»Wir machen gleich eine Pause.« Rykers Stimme klang kratzig, als hätte er seit Ewigkeiten nicht gesprochen. Vielleicht war es auch so, mein Zeitgefühl war völlig im Eimer.
Ich verdrängte die schrecklichen Bilder, die mich wahrscheinlich den Rest meines Lebens verfolgen würden. Verdrängte Islas verzweifeltes Gesicht, als sie mir gesagt hatte, dass alles eine Lüge gewesen war. Dass ihre Familie Toxics wie mich opferte, um ihre Macht zu behalten, dass ich in großer Gefahr war. Und ich verdrängte ihr lebloses Gesicht, verdrängte das Gefühl ihrer kalten Arme. Stattdessen suchte ich in meinem Kopf nach den Fragen. Wägte ab, welche ich zuerst stellen sollte und welche vielleicht gar nicht, weil ich die Antwort nicht ertragen würde. Schließlich entschied ich mich für die, die ich wahrscheinlich schon längst hätte stellen sollen, wäre unsere Flucht nicht so überstürzt und ich nicht so taub gewesen: »Wo fahren wir hin?«
Ryker presste kurz die Lippen zusammen, und ich bildete mir ein, dass seine Finger sich noch etwas fester um das Lenkrad schlossen. Nach kurzem Zögern antwortete er: »An einen sicheren Ort.«
Jetzt rieselte doch langsam die Erkenntnis zu mir durch, dass ich vielleicht nicht unbedingt so blind in sein Auto hätte steigen sollen. Ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Ohne darüber nachzudenken, warum er mittlerweile nicht mehr für Islas Familie arbeitete. Warum er polizeilich gesucht wurde. Aber als ich mich von ihm abwandte und ebenfalls auf den Asphalt vor uns starrte, merkte ich, dass ich keine Angst fühlte. Eigentlich fühlte ich überhaupt nichts. »Und du wirst mir nicht sagen, wo dieser sichere Ort sein wird. Hab ich recht?«
»Das wirst du sehen, wenn wir da sind.«
»Du könntest mich auch darauf vorbereiten, indem du die Karten offen auf