1. KAPITEL
Delphi Reynolds warf sich ihre Handtasche über die Schulter und ging den Flur der jetzt stillen Arztpraxis hinunter. Sie wollte nach Hause, ihren Kasack ausziehen und die Füße hochlegen. Es war ein hektischer Tag gewesen.
In diesem Moment trat Dr. DeWitt Zellers durch die offene Tür seines Büros, ein freundliches Lächeln im Gesicht. Delphi war begeistert gewesen, als sie direkt nach der Krankenpflegeschule eine Stelle bei Dr. Zellers senior bekommen hatte. Er galt als einer der besten Chirurgen im Süden. Als er vor einem Jahr in den Ruhestand gegangen war, hatte sein Sohn DeWitt die Praxis übernommen. DeWitt Zellers war charmant, bezahlte seine Angestellten gut und genoss wie sein Vater ein hohes Ansehen. Im vergangenen Jahr hatten Delphi und er oft auch privat miteinander geplaudert.
Er hatte sich mit ihr über das Hochzeitstagsgeschenk für seine Frau beraten und Delphi zum dritten Geburtstag seiner Tochter eingeladen. Ebenso hatte er ihr Ratschläge in Bezug auf Verabredungen und Männer gegeben. Delphi mochte ihn und vertraute ihm. DeWitt war so etwas wie der große Bruder, den sie nie gehabt hatte.
„Hast du noch eine Minute, bevor du gehst?“, fragte er.
„Sicher.“
„Komm rein.“ Er winkte sie in sein Büro und schloss die Tür hinter ihr. Alle anderen waren bereits gegangen. „Ich wollte etwas mit dir besprechen.“
Er ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Ledersessel sinken.
Vor ein paar Monaten hatte er sich auf ihren Vorschlag für das Hochzeitstagsgeschenk für Macy eingelassen. Seine dunkelhaarige Frau war klein, leicht übergewichtig und nicht gerade das, was man eine klassische Schönheit nannte. Dass der gut aussehende Arzt so sehr in seine doch eher unscheinbare Frau verliebt war, brachte eine romantische Saite in Delphi zum Klingen. Sie mochte Macy, doch ihr Lebensstil unterschied sich sehr. Macy war der Schickeriatyp, Delphi dagegen ein Workaholic. Aber Macy hatte das Schmuckstück gefallen, das Delphi vorgeschlagen hatte, also gab es vielleicht doch ein paar Gemeinsamkeiten.
DeWitts Büro war sehr funktional ausgestattet. Seine Diplome, Zulassungen und Auszeichnungen füllten beinah die gesamte Wand über seiner Kredenz. Darauf standen neben seinen medizinischen Fachbüchern wunderschön gerahmte Fotos. Eins von ihm bei der Entgegennahme seines Diploms, flankiert von seiner Mutter und einer strahlenden Macy, dann noch eins von ihm, Macy und ihrer Tochter Chesney am Strand, ein lächelndes Trio umgeben von Dünen und Sand.
Das Büro spiegelte seinen beruflichen Erfolg und seinen ausgeprägten Familiensinn wider. Ein Blick auf diese Wand sagte alles – Dr. DeWitt Zellers war ein toller Typ.
Delphi stand hinter einem der Besucherstühle. Es war ein unglaublich anstrengender Tag gewesen, und sie wollte nur noch nach Hause und entspannen. DeWitt jedoch schien es nicht eilig zu haben. Er saß da, die Fingerspitzen vor dem Mund zusammengelegt. Die typische Geste für ihn, wenn er etwas Wichtiges herausgefunden oder eine Entscheidung getroffen hatte. Sie konnte es nicht genau benennen, aber irgendwie schien er in letzter Zeit verändert. Vielleicht war er nur gestresst. Sie hatte ihn nicht darauf angesprochen, denn früher oder später würde er es ihr vermutlich erklären. Jetzt jedoch bemerkte sie eine seltsame Stimmung bei ihm.
Er stand auf und stellte sich hinter sie, so dicht, dass sie seinen Atem im Nacken spüren konnte. Unbehaglich lachend machte Delphi einen Schritt nach rechts, da der Stuhl ihr den Weg nach vorn versperrte. Sie drehte sich um und lachte erneut. Überrascht und ein wenig nervös. „Was ist los?“
„Delphi, das macht mich noch wahnsinnig. Wir können nicht länger dagegen ankämpfen.“
Sie war völlig verwirrt. Was machte ihn wahnsinnig? „Ich verstehe nicht …?“
Er näherte sich ihr wieder. Sein Atem roch nach den Hotdogs, die Barb in der Mittagspause aus dem Laden an der Ecke geholt hatte, und nach Pfefferminzbonbons. Keine gute Kombination. „Du musst dich nicht zieren. Ich weiß, was du für mich empfindest, und ich empfinde dasselbe für dich.“ Er griff nach ihr, und sie wich ihm aus.
Verdammter Mist. Er führte sich … verrückt auf. „DeWitt … Dr. Zellers …“ Die förmliche Anrede schien im Moment passender zu sein. „Wir sind Freunde …“
„Wir wissen beide, dass es viel mehr ist als …“
Was? „Nein, das ist es nicht.“
„Baby, es gibt keinen Grund, es weiter zu verbergen. Gott, ich werde verrückt, wenn ich nur an dich denke. Ich will dich.“
„Aber Macy … Chesney …“
Er nahm Delphis Hand. „Ich kann sie nicht verlassen. Ihr Vater hat zu viel Einfluss. Meine Karriere könnte er vermutlich nicht ruinieren, aber sicher einigen Schaden anrichten.“ Delphi versuchte, seine Hand abzuschütteln, doch er hielt sie fest. Panik ergriff sie. „Außerdem würde Macy mir alles wegnehmen und mich für die nächsten fünfzehn Jahre auf Unterhaltszahlungen verklagen. Aber das heißt nicht, dass wir nicht zusammen sein können.“ Der vielsagende Glanz in seinen Augen war ebenso beunruhigend wie seine Worte. „Ich habe eine tolle Eigentumswohnung zwischen der Praxis und meinem Haus gefunden. Du wärst die Eigentümerin, aber ich würde die Raten übernehmen …“
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. „Ich soll deine Geliebte sein?“
„Ich weiß, es ist nicht dasselbe wie eine Ehe, aber es wäre nur für ein paar Jahre. Bis ich fester etabliert bin und Chesney etwas älter ist.“
Dachte er, sie wäre wütend, w