: Gabriele Tergit
: Nicole Henneberg
: Der erste Zug nach Berlin Roman
: Schöffling& Co.
: 9783731762294
: 1
: CHF 15.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In ihrer rasant erzählten Satire »Der erste Zug nach Berlin« - erstmals nach dem Original-Typoskript veröffentlicht - nimmt uns Gabriele Tergit mit ins Berlin der Nachkriegszeit. Die junge Amerikanerin Maud hat noch nicht viel von der Welt außerhalb der New Yorker High Society gesehen. Da bekommt sie die Gelegenheit, eine britisch-amerikanische Militärmission nach Berlin zu begleiten, die den Deutschen endlich demokratische Prinzipien näherbringen soll - eine fabelhafte Chance, vor ihrer Hochzeit noch rasch etwas zu erleben. Die chaotische Gruppe versammelt skurrile Charaktere, unter anderem einen falschen Lord, die sich politisch nicht immer einig sind und darüber so manchen Streit austragen. Und die so glamouröse wie naive Maud muss bald feststellen, dass die Deutschen weder ein Interesse an Demokratie haben, noch daran, von ihr und den anderen Alliierten gerettet zu werden.Wie schon Tergits Erfolgsroman »Effingers« wurde »Der erste Zug nach Berlin« neu herausgegeben von Nicole Henneberg, die die Handlung außerdem in einem Nachwort historisch, biografisch und literarisch einordnet.

Gabriele Tergit (1894-1982), Journalistin und Schriftstellerin, schrieb drei Romane, zahlreiche Feuilletons und Reportagen sowie posthum veröffentlichte Erinnerungen. 1933 emigrierte sie nach Palästina, 1938 zog sie nach London. Ihr literarisches Werk wurde erst spa?t in Deutschland wiederentdeckt. Heute gilt sie, vor allem aufgrund ihres Erfolgsromans Effingers, als bedeutende Autorin der Zwischen- und Nachkriegszeit.

1. Kapitel

Ich muss sagen, es war ein reiner Zufall, dass ich nach Deutschland kam. Mein Onkel Phipps sollte zu der amerikanischen Mission nach Deutschland gehen und ich war gerade da, als Tante Ketta sagte: »Ich denke garnicht daran, nach Berlin zu gehen. Ich habe mich mit der ganzen Bande für Miami verabredet und ich müsste mir lauter andre Sachen für ein kaltes Land anschaffen.«

»Onkel Phipps«, sagte ich, »nimmmich mit. Ich würde rasend gern mitkommen, ich könnte zum Beispiel Fonds für eine Kantine sammeln oder Kleider für Polen oder Bündel für ausgebombte Engländer.«

»Das ist garnicht nötig«, sagte Onkel Phipps, »komm nur mit. Du kannst chauffieren, eine Schreibmaschine zertrümmern und Photos machen. Dafür kann ich dich gerade brauchen.«

»Vergiss nicht, Onkel Karl, ich bin ein selbstständiger Mensch.«

Anfang Mai verabschiedete ich mich von der ganzen Bande und wir gingen noch mal ins Twenty-one. Ich ging in meinem großen Abendkleid von Chanel zum Aerodrom mit einem Pfauenfächer, das Neueste aus Paris. Ich war die Erste, die ihn hatte. Er wird an einer langen Stange von einem der jungen Leute hinter einem getragen. Meinen trug der Sohn vom Governor Perry. Er war der bestaussehende Junge von uns. Und alle beneideten mich. Er sagte, ich sei eine Närrin, nach dem wilden Europa zu gehen, wenn ich in dem schönen New York mit seinem sanften Klima und noch sanfteren Sitten bleiben könnte. Dass ein Mensch aus Vergnügen nach Europa ginge, habe er überhaupt noch nicht gehört. Er will mich heiraten und wir wollen dann sehr viel Geld ausgeben, denn das ist das, was die Regierung verlangt. Von einem bestimmten Verbrauch an werden die Steuern herabgesetzt. Wenn man fein ist, sagt man: »Unser Haus wird wahrscheinlich vier Jahre zu bauen dauern. Wir wohnen jetzt in einem Flügel.« Man lässt sich die Wände bemalen oder mit Figuren bedecken. Gianetto und Rosenbaum, die jetzt so en vogue sind, brauchen für einen geschnitzten Stuhl mindestens ein halbes Jahr, man kann sich vorstellen, wie lange sie für eine Einrichtung brauchen. Niemand, der irgendwas auf sich hält, kauft Sachen, die am laufenden Band angefertigt werden. Es ist garnicht zu sagen, wie teuer die Sachen dann werden. Gianetto und Rosenbaum stellen ihre Rechnungen so aus, dass sie einem aufschreiben: 2000 Dollar für Lohn, 1000 Dollar Entwurf, macht 3000 Dollar. Mit so einer Rechnung geht man zur Steuer und auf die 2000 Dollar Lohn braucht man keine Steuern zahlen. Seitdem werden kaum mehr große Brillanten gekauft, sondern Ketten mit 100 Splittern, die kunstvolle Formen haben. Frauen von Senatoren zum Beispiel tragen nur noch sogenannten ›Gehörn-Schmuck‹, das sind Schmucksachen, die über 500 Arbeitsstunden gekostet haben von der Firma Gehörn. Auch Bilder werden so gekauft. Die modernen Maler dürfen auf jedes Bild die Arbeitsstunden von zwei Studienjahren drauflegen. Infolgedessen ist Rembrandt sehr im Preis zurückgegangen und wir kaufen alle den Henry Porter, der sehr schöne Bilder malt, aber außerdem zwanzig Jahre studiert hat. Die Bilder kosten einen fast garnichts.

Was aber meine Heirat mit Clark Perry angeht, so sind wir schließlich beide erst 19 Jahre alt.

Als ich ins Flugzeug stieg, brüllten sie alle durchs Megaphon und sangen und trugen kleine Papierkappen und kurz und gut, es war himmlisch. Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte und ich den guten alten friedlichen Kontinent verließ, um in das wilde, unkultivierte Europa zu fahren, da war mir doch sehr anders und ich ging in die Bar, um einen Cocktail zu trinken. Neben mir saß ein junger Engländer mit einem me