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Millie
»Erzählen Sie etwas über sich, Millie.«
Nina Winchester beugt sich auf dem karamellfarbenen Sofa vor und schlägt die Beine übereinander, sodass der Saum des weißen Seidenrocks knapp ihre Knie freilegt. Ich kenne mich mit Marken nicht besonders gut aus, aber es ist offensichtlich, dass alles, was Nina Winchester anhat, sündhaft teuer ist. Am liebsten würde ich die Hand ausstrecken, um den Stoff ihrer cremefarbenen Bluse zu befühlen, obwohl ein solcher Schritt bedeuten würde, dass ich keine Chance hätte, den Job zu bekommen.
Offen gesagt habe ich ohnehin keine Chance, den Job zu bekommen.
»Na ja …«, beginne ich, nach Worten suchend. Selbst nach all den Ablehnungen versuche ich es weiter. »Ich bin in Brooklyn aufgewachsen. Wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen können, habe ich schon oft als Haushaltshilfe gearbeitet.« Meinsorgfältig frisierter Lebenslauf. »Und ich liebe Kinder. Und …« Ich blicke mich im Zimmer um und suche nach einem Hundespielzeug oder einem Katzenklo. »Ich liebe auch Tiere?«
In der Online-Stellenanzeige für eine Haushälterin war von Haustieren nicht die Rede. Aber lieber auf Nummer sicher gehen. Wer schätzt es nicht, wenn jemand Tiere mag?
»Brooklyn!« Mrs. Winchester strahlt mich an. »Ich bin auch in Brooklyn aufgewachsen. Wir sind praktisch Nachbarinnen!«
»Das sind wir!«, bestätige ich, obwohl nichts der Wahrheit ferner sein könnte. Es gibt viele begehrte Gegenden in Brooklyn, wo man ein Vermögen für ein winziges Reihenhaus zahlt. Da bin ich nicht aufgewachsen. Nina Winchester und ich könnten nicht verschiedener sein, aber wenn sie glauben möchte, dass wir Nachbarinnen sind, werde ich gerne zustimmen.
Mrs. Winchester schiebt eine Strähne ihrer goldblonden Haare hinters Ohr. Ihr Haar ist zu einem modischen Bob geschnitten, der ihr Doppelkinn kaschiert. Sie ist Ende dreißig und würde mit anderer Frisur und anderer Kleidung recht gewöhnlich aussehen. Aber sie hat ihren beträchtlichen Reichtum dazu genutzt, das Beste aus sich zu machen. Das muss ich unumwunden anerkennen.
Ich habe genau das Gegenteil getan, was mein Äußeres angeht. Ich bin ungefähr zehn Jahre jünger als die Frau, die mir gegenübersitzt, aber ich will auf keinen Fall, dass sie mich als Bedrohung ansieht. Deshalb habe ich für das Vorstellungsgespräch einen langen, dicken Wollrock gewählt, den ich in einem Secondhandladen gekauft habe, dazu eine weiße Polyesterbluse mit Puffärmeln. Meine dunkelblonden Haare sind am Hinterkopf zu einem strengen Knoten geschlungen, und auf der Nase habe ich eine viel zu große, völlig unnötige Hornbrille. Ich sehe professionell und extrem unattraktiv aus.
»Was die Arbeit angeht«, sagt sie, »die besteht hauptsächlich aus Putzen, und wenn Sie dazu bereit sind, etwas Leichtes zu kochen. Sind Sie eine gute Köchin, Millie?«
»Ja«. Mein Händchen fürs Kochen ist das Einzige in meinem Lebenslauf, bei dem ich nicht gelogen habe. »Ich bin eine gute Köchin.«
Ihre blassblauen Augen leuchten. »Das ist wundervoll! Ganz ehrlich, wir bekommen fast nie ein selbst gekochtes Essen.« Sie kichert. »Wer hat schon Zeit dafür?«
Ich verkneife mir eine Antwort. Nina Winchester arbeitet nicht, hat nur ein Kind, das den ganzen Tag in der Schule ist, und stellt jemanden zum Putzen ein. In dem riesigen Vorgarten sehe ich einen Mann, der die Gartenarbeit macht. Wie kann es sein, dass sie keine Zeit hat, Essen für ihre kleine Fami