Prolog
»Es sind nur noch elf von uns übrig, Eminenz«, sagte die junge Gardistin. Sie war offensichtlich sehr müde und lehnte sich auf ihren Degen, der vom Heft bis zur Spitze mit grauer Asche verschmiert war. »Ich glaube nicht, dass wir den Turm noch lange halten können.«
»Elf ?«, fragte Kardinalin Alsysheron, die viel älter als ihre siebzig Jahre aussah. Sie saß auf dem Sims des großen Bogenfensters, das nach Süden wies, weil es sonst nirgends im Glockenturm eine Möglichkeit gab, sich hinzusetzen, denn der größte Teil des Raums wurde von der großen Glocke von Sankt Desiderus eingenommen. Die gewaltige Bronzeglocke war jetzt stumm. Es war sinnlos, Alarm zu schlagen, und außerdem waren jene, die diese Aufgabe gehabt hatten, längst tot.
Alsysheron hatte die langen Schöße ihrer scharlachroten Robe so zusammengefaltet, dass sie eine Art Kissen auf dem kalten Stein bildeten. Sie trug nur einen Pantoffel, und ihr fast kahl geschorener Kopf war unbedeckt, zum ersten Mal in vielen Jahren ohne Kappe oder Mitra; der feine weiße Flaum hob sich deutlich von ihrer tiefschwarzen Haut ab. Die Kardinalin war in größter Eile aus ihrem Behelfsbett in der großen Halle geflohen, als die Kreaturen es unerwarteterweise geschafft hatten, durch die Keller und die Krypta einzudringen.
»Ich habe nichts von einem weiteren Angriff gehört …«
»Omarten hat das Aschblut erwischt«, antwortete die Gardistin und gab der Plage den neu gefundenen Namen. Sie gehörte noch nicht einmal zum Haushalt der Kardinalin – bis vor zwei Tagen war sie eine sehr neue Rekrutin in der Königlichen Garde gewesen. Doch dann war der Palast an die Monster gefallen, und sie war mit den Überlebenden den Fluss entlang zur Kathedrale gezogen, die einst eine Festung gewesen war und eine kleine Hoffnung auf Überleben zu bieten schien. »Wir haben seine Leiche nach draußen geschafft.«
»Das war unnötig«, sagte die Kardinalin. »Wie wir gesehen haben, tritt die Verwandlung nach dem Tod nicht mehr ein.«
»Wir wollten kein Risiko eingehen«, flüsterte die Gardistin und beugte sich vor. Ihre braunen Augen waren plötzlich weit aufgerissen, ihr Blick intensiver, ihre Müdigkeit verschwunden. Sie erschien der Kardinalin sehr jung, zu jung, um eine stählerne Sturmhaube und einen Kürass zu tragen und Pistolen in ihrer einst blauen Schärpe, die jetzt vom Aschblut der Kreaturen graufleckig war. »Eminenz … ist es nicht an der Zeit?«
»An der Zeit wofür, mein Kind?«
»Palleniel zu rufen!« Ihre Stimme war drängend, und sie lehnte sich nicht mehr auf ihren Degen, sondern reckte ihn hoch in die Luft. »Er kann bestimmt alles in Ordnung bringen!«
Die Kardinalin schüttelte langsam den Kopf und sah aus dem Fenster, ließ den Blick über Cadenz schweifen – zumindest über das, was sie unter der gewaltigen, tiefhängenden Wolke aus dichtem schwarzem Rauch von der Stadt sehen konnte. Es gab jetzt viele Brände, nachdem Bäcker und Köche am Aschblut gestorben waren und sich nicht mehr um ihre Feuer kümmern konnten, die schnell außer Kontrolle gerieten, da niemand mehr da war, um sie zu bekämpfen. Die Monster versuchten es ganz gewiss nicht. Tatsächlich war einer der größten Brände von jemandem – wahrscheinlich einem verzweifelten Offizier der Stadtwache – entfacht worden, der gehofft hatte, die Monster dadurch auf dem Nordufer des Flusses zu halten, weil er sich nicht da