Dialog: Transhumanismus – Wie alles anfing
BKG: Fangen wir gleich einmal bei unserem gemeinsamen philosophischen Hausgott an. Ist Friedrich Nietzsche tatsächlich der geistige Ahnherr des Transhumanismus? Verkörpert sein Konzept des »Übermenschen« im 19. Jahrhundert bereits das, was die Silicon-Valley-Elite jetzt im 21. Jahrhundert durchsetzen will? Du hast ja sogar ein Buch mit einem »Plädoyer für den Nietzscheanischen Transhumanismus« geschrieben.
SLS: Über die Frage, ob Nietzsche der Vater des Transhumanismus ist, wird heftig gestritten. Diese Debatte wurde durch einen Vortrag von mir ausgelöst, der auf einer Veranstaltung, auf der auch Nick Bostrom und Julian Savulescu zugegen waren, gehalten wurde und sehr kontroverse Diskussionen hervorgerufen hat, nachdem er unter dem Titel »Nietzsche, the Overhuman, and Transhumanism« 2009 publiziert wurde. Mittlerweile ist dieser Vortrag einer der meistzitierten Artikel zu Nietzsche überhaupt. Darauf haben Transhumanisten sehr unterschiedlich reagiert. Auf der einen Seite ist da zum Beispiel Max More, der meine These unterstrichen hat, dass Nietzsche eine wesentliche Vorläuferrolle zukommt. Er selbst wurde stark durch Nietzsche beeinflusst. Dem gegenüber stehen die Aussagen von Nick Bostrom, der die Ahnherrschaft von Nietzsche bestreitet. Ich vermute allerdings, dass in diesem Zusammenhang eher politische Interessen eine gewisse Rolle spielen. Man will nicht mit den ganzen Konnotationen, die mit Nietzsches Denken einhergehen, identifiziert werden. Bostrom versucht sozusagen, den Transhumanismus vor den gefährlichen Ressentiments zu retten, die mit dem Namen Nietzsche verbunden sind.
BKG: Sicherlich gibt es immer noch diese Vorbehalte gegen Nietzsche, weil er ja sozusagen posthum von den Nazis für ihre Vorstellungen vereinnahmt wurde. Obwohl es sicherlich keinen deutschen Philosophen gibt, der sich derart dezidiert von dumpfem Nationalismus und Antisemitismus abgegrenzt hat. Ich würde aber gern noch einen anderen Aspekt diskutieren. Transhumanisten ist ja vor allen Dingen die Weiterentwicklung des Menschen durch Technik wichtig. Und da fällt auf: Nietzsche hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Das war ja in Deutschland die Hoch-Zeit der Industriellen Revolution. Nietzsche hat sich aber für den technologischen Fortschritt in Deutschland bemerkenswert wenig interessiert. Da standen ihm die griechischen Vorsokratiker doch viel näher als die deutschen Industriebarone.
SLS: Da muss ich dir natürlich recht geben. Aber die Frage ist, wie weit man den Technikbegriff fasst. Die entscheidende Frage ist: Ist Erziehung nicht auch schon eine Technik? Man könnte ja genauso von Folgendem ausgehen: Im Prinzip sind die neuesten Möglichkeiten der gentechnischen Veränderung des eigenen Nachwuchses nur eine Erweiterung des traditionellen Erziehungsbegriffs. Ursprünglich haben Eltern ihren Nachwuchs über Erziehung ausgeformt. Diese Möglichkeit der Gestaltung des Nachwuchses und der Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, dass der Nachwuchs ein gutes Leben führt, wird nun durch die Möglichkeiten der Gentechnik erweitert. Das ist durchaus eine Überlegung, die innerhalb der Debatten zur Gentechnik eine Rolle spielt. Dass Erziehung also eine gewisse Anthropotechnik darstellt, ist durchaus naheliegend. Und Erziehung war bei Nietzsche ein wichtiger Vorgang, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Übermensch entstehen kann.
BKG: Aber das beginnt doch nicht erst bei Nietzsche. Das ist ja eigentlich das klassische humanistische Menschenideal: die Weiterentwicklung des Menschen durch Erziehung und Bildung. Dazu brauchen wir doch nicht unbedingt den Transhumanismus.
SLS: Die Frage ist sozusagen: Was ist die zugrunde liegende Vorstellung vom Menschen? Dem Humanismus liegt da vor allem die Vorstellung zugrunde: Der Mensch besteht letztendlich aus diesem göttlichen Funken und seinem weniger bedeutsamen Körper. Nietzsche hingegen – im Unterschied zu den ganzen traditionellen Humanisten – ist als einer der wenigen Philosophen davon ausgegangen, dass die Seele nur ein Teil des Körpers ist. Damit hat er radikal mit der traditionellen humanistischen Tradition gebrochen. Das ist dann schon ein entscheidender Unterschied zur humanistischen Gedankenwelt. Die Frage ist ja: Was ist der Mensch? Besteht der Mensch aus dem göttlichen Funken und dem Körper? Oder ist