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WER IST HERR, WER DIENER? –
Geistlich erfolgreich leiten, ohne nach Erfolg zu streben
Am 3. Oktober 1960 hielt der schwedische Politiker Dag Hammarskjöld, der zu dieser Zeit zweiter Generalsekretär der Vereinten Nationen war, eine Rede vor deren Generalversammlung. Hammarskjölds energisches Handeln im Kongo hatte die Sowjetunion verärgert, die am gleichen Morgen seinen Rücktritt gefordert hatte. Unter anderem warf die Sowjetunion Hammarskjöld vor, dem »Kongo ein weiteres Joch aufzuerlegen«, »die elementare Gerechtigkeit verhöhnt zu haben« und versucht zu haben, »die blutigen Verbrechen, die gegen das kongolesische Volk begangen wurden, zu rechtfertigen«. Darauf antwortete Hammarskjöld unter anderem:
In den letzten Wochen wurden wir in dieser Versammlung Zeugen, wie eine historische Wahrheit geschaffen wurde; wenn eine Behauptung einige Male wiederholt wird, ist sie keine Behauptung mehr, sondern eine etablierte Tatsache, auch wenn keine Beweise dafür gegeben sind. Aber Fakten bleiben Fakten und die wahren Fakten sind hier allen zugänglich, die sich für die Wahrheit interessieren.
Wer sich auf die Geschichte beruft, wird gewiss von der Geschichte gehört werden. Und er wird sich dem Urteil der Geschichte stellen müssen, wenn es auf der Grundlage von Fakten von Menschen verkündet wird, die freien Sinnes und fest davon überzeugt sind, dass nur durch die Prüfung der Wahrheit eine friedliche Zukunft erbaut werden kann.
Schon hier wird deutlich, dass wir in einer neuen Zeit leben. Heutzutage tragen das Internet und aktive Kampagnen von Politikern dazu bei, die Wahrheit aufzubrechen, sie mit Lügen zu vermischen und eine weltumspannende postfaktische Ära zu schaffen. Ziel ist nicht länger, wie bei alter Propaganda, die Leute von Lügen zu überzeugen, sondern sie glauben zu machen, dass es gar keine Wahrheit mehr gibt. In einem solchen Klima können Führungspersonen eine beliebige Agenda so lange zum Thema machen, um ihre Macht zu stärken – egal, ob sie wahr ist oder nicht.
Wie reagierte Hammarskjöld auf die Vorwürfe? Er antwortete:
Ich habe keinen Grund, mich oder meine Kollegen gegen diese vorgebrachten Vorwürfe oder Beurteilungen zu verteidigen. Lassen Sie mich nur sagen, dass Sie, Sie alle, Richter sind. Keine einzelne Partei kann diese Befugnis für sich beanspruchen. Ich bin mir sicher, dass Sie sich von Wahrheit und Recht werden leiten lassen.
Dann beschreibt er sein Führungsverständnis. Es steht ebenfalls in scharfem Kontrast zu der narzisstischen Fixierung auf die eigene Person und der Überzeugung, die heute so weitverbreitet ist:
Es geht nicht um die Person, sondern um die Institution. Eine schwache oder nicht existente Vollstreckungsbehörde würde bedeuten, dass die Vereinten Nationen nicht länger in der Lage wären, aktiv jenen Schutz zu bieten, den die Mitglieder brauchen. Wer die Verantwortung als oberster Angestellter trägt, sollte zurücktreten, wenn er die Vollstreckungsbehörde schwächt. Doch er sollte bleiben, wenn es notwendig ist, um diese zu erhalten. Das, und nur das, erscheint mir das einzig anwendbare Sachargument.
Ohne Macht lässt sich nichts erreichen. Aber die Macht dient nicht den Zielen der Führungsperson, sondern denen der Organisation. Diese wiederum dient nicht der oder dem Vorsitzenden, sondern ihren Mitgliedern. Vor allem den schwächsten