Hans saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl. Gesenkter Kopf. Große Augen. Er zeigte diesen traurigen Hundeblick. Auf einem anderen Stuhl saß seine Ehefrau Hannah. Sie rang mit sich, schluchzte bitterlich und konnte ihre Emotionen kaum fassen, die in ihrer Brust Theater spielten. Ein zerstörerisches Theater.
Große Verunsicherung traf sie, als die Therapeutin zu Hannah sagte, sie möge sich mal zusammenreißen. Schließlich sei sie eine selbstaufopfernde Narzisstin, die hier nur nach Anerkennung ihres Mannes hungere und ihn und die Kinder für ihre emotionale Unreife und Instabilität missbrauche. »Ihr Mann ist nicht für Ihre Gefühle verantwortlich!«, schrie die Therapeutin.
Schwer getroffen verstummte Hannah und dissoziierte. Sie nahm sich selbst nicht mehr wahr, spürte weder Raum noch Zeit. Sie war ganz weg. Alles war weiß. Sie fühlte sich ganz ohne Leib und empfand nichts mehr. Die Tränen hörten auf zu fließen. Wurde sie eben tatsächlich angeschrien? War das die Wertschätzung, die sie von einer Psychotherapeutin erwartete? Ihre innersten, tiefen Ängste vor solchen emotionalen Angriffen paralysierten sie.
Hans wohnte der Situation still bei und verzog betroffen die Mundwinkel. Er fuhr sich mit der Hand, sich selbst Trost spendend, durchs Gesicht – Streicheleinheiten für seine eigene verletzte Seele. Da fand er eine kleine Unreinheit zwischen den Bartstoppeln, die er sich blutig kratzte. Er konnte sich etwas besser auf sich konzentrieren, weil die Therapeutin seine Frau in der Mangel hatte. Merkwürdig, wo der Pickel nur herkam, achtete er doch besonders auf seine Hautpflege. Während Hannah neben ihm zusammenbrach, überlegte er, gleich nach der Sitzung einen Kosmetiktermin zu vereinbaren.
Es lief gut für ihn in dieser Sitzung. Hans hatte keine Vorstellung davon, nicht die leiseste, was in Hannah vor sich ging. Die Therapeutin bestätigte, dass Hannah noch viel mehr an sich arbeiten müsse. Hannahs Emotionsregulation sei die blanke Katastrophe. Hans nickte besserwisserisch. »Ihre aber auch!«, zischte die Therapeutin Hans zu. Brav nickte er schnell.
Sein angepasstes Verhalten bewahrte ihn vor mehr Kritik. Den Dreh hatte er längst raus. Ein Verhalten, das ganz automatisch in der Praxis der Therapeutin ansprang. Seine Affektregulation wollte er sich noch aufbewahren für nach der Stunde, wenn er mit Hannah allein, auf dem Weg zum Auto wäre. Für die ganzen folgenden Wochen, bis zur nächsten Paartherapiesitzung, würde er jede Gelegenheit nutzen, Hannah mit kleinen, unsichtbaren Giftpfeilen zu beschießen. Das traf und destabilisierte Hannah. Das wusste und nutzte er.
Er war ganz anders, wenn er mit Hannah allein war. Das sagte Hannah auch ständig in der Therapie, aber ihr glaubte die Therapeutin nicht so ganz. Sicherlich, dachte Hans, meint die Therapeutin, weil sie systemisch ausgebildet ist, dass immer zwei schuld daran sind, wenn eine Beziehung kaputt ist. Mit dieser geteilten Schuld konnte sich Hans gut einrichten. Als die Sitzung vorbei war, half er Hannah weder in den Mantel noch hielt er ihr die Tür zur Straße auf. Er ging voraus, setzte sich in das Auto und wartete. Hannah, sich noch immer sammelnd, trottete hinterher.
Als sie zu ihm in den Wagen stieg, holte er aus: »Siehst du, es sind die selbstaufopfernden Narzisstinnen, die sich immer zu wenig wertgeschätzt fühlen! Wie du! Wenn du immer so rumheulst, das ist so unerträglich. Grässlich.« Es brauchte keine zehn Sekunden, bis Hans sein Janusgesicht gedreht hatte und Hannah voller Verachtung ansah. Selbstbewusst startete er den Motor und stieß mit dem Wagen rückwärts – rücksichtslos, wie immer – in den immer dichter werdenden Abendverkehr der Großstadt.
Was die Therapeutin wusste, aber nicht ändern konnte, war, dass Hans ein janusköpfiger, grandioser Narzisst war und Hannah eine selbstaufopfernde Komplementärnarzisstin. E