WAS ICH IN DER NACHT SEHE
Rache sorgt für Frieden. Der Moment, in dem ich dem Mörder meines Bruders einen Bolzen zwischen die Augen schoss, war ekstatisch. Apokalyptisch. Wie ein Orgasmus der Seele. Als sei mein ganzes beschissenes Leben auf diese eine Sekunde hinausgelaufen.
Aber dieses Gefühl hielt nicht lange an.
Der Kerl, der mir mit gezogener Waffe gegenübersteht, ist groß, blond und so muskulös, wie man sich einen griechischen Gott vorstellt. Das Mondlicht spiegelt sich auf dem Lauf der Pistole. Schweißperlen rinnen an seiner weißen Haut hinab. Ich kenne ihn. Ich glaube, sein Name ist Tate.
Er steht vor der Fensterfront, die von der Veranda in die Eingangshalle unseres Anwesens führt. Warmes Licht dringt durch die zerbrochenen Scheiben in die Nacht hinaus. Die Luft um uns herum ist heiß und schwer. Mein Atem ist noch kühl von der Klimaanlage im Haus.
»Du verstehst das nicht«, grollt er, die Augenbrauen zu einem Ausdruck der Wut zusammengezogen. »Ich bin hier, weil ich mit dir über deinen Bruder Jacob reden will. Nicht, um eure verdammte Villa zu plündern.«
Warum fuchtelt er nur mit seiner kleinen Pistole herum? Der Kerl ist einer der gefürchtetsten D.I.E.T.-Agents Amerikas. Einer der God Slayer, die sie auf die richtig harten Fälle ansetzen. Wo ist seine Spezialausrüstung? Seine Verstärkung? Dachte er, dass er ohne all das auf eins unserer Anwesen eindringen kann? Hat er keine Angst vor mir?
Beides wären fatale Fehleinschätzungen. Dafür sind diese Leute eigentlich zu professionell.
»Du hast echt Nerven, hier aufzutauchen und mir ’ne Pistole an den Kopf zu halten«, übergehe ich seine Aussage, um mir ein wenig mehr Zeit zu verschaffen. Ich glaube zu erkennen, dass er unter seinem Anzug eine Schutzweste trägt. »Hast du die Regeln vergessen? Ihr lasst uns in Ruhe, dafür töten wir euch nicht.«
Wie weit wird er gehen? Würde er tatsächlich auf mich schießen, oder ist es nur ein Bluff? Falls er doch Verstärkung mitgebracht hat, wäre es leichtsinnig, ihn anzugreifen. Vor allem, weil ich nichts als einen Taser bei mir habe. Aber wenn wir weiter warten, eskaliert die Sache hier vielleicht.
»Ich will nur über Jacob reden.« Tate verzieht den Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Und dass du nicht abhaust.«
Das kann nicht die Wahrheit sein. Und allein, dass er es wagt, Jacobs Namen in den Mund zu nehmen, macht mich wütend.
Ich trete einen Schritt auf ihn zu, und sofort reißt er die Waffe hoch. Bevor ich herausfinde, ob er wirklich auf mich schießen würde, mache ich einen Ausfallschritt zur Seite und schlage gegen seine Arme, um den Lauf seiner Pistole von meiner Körpermitte wegzulenken. Die Wucht, mit der meine aufgeplatzten Fingerknöchel gegen seine Muskeln prallen, sendet einen scharfen Schmerz meine Arme hinauf. Ich verlagere das Gewicht und ziehe mit der freien Hand den Taser von meiner Hose. Noch bevor Tate ausholen kann, ramme ich ihm das kleine Gerät in die Achsel.
Sofort lässt er die Waffe sinken und stolpert zurück. Ich packe seinen Oberarm, damit er den Taser nicht von sich schieben kann. Der Kerl ist riesig, es wird ein paar Sekunden dauern, bis er ohnmächtig wird.
»Du verstehst das falsch«, keucht er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Das glaube ich nicht.«
Als er endlich zusammenbricht, warte ich noch einige Sekunden, um sicherzugehen. Dann lasse ich ihn los, bevor sein Gewicht mich mit runterzieht. Meine dunklen Haare fallen mir über die Schulter, als ich den Kopf sch