Marion Kaye verließ das Kaufhaus um die gleiche Zeit wie Miss Gibbs, die eine sehr freundliche junge Frau war und ihr außerhalb der Arbeitszeiten sogar schon einmal das Du angeboten hatte. Aber als die Jüngere der beiden hielt Marion das für unpassend, obwohl Maggie Gibbs es durchaus ernst gemeint zu haben schien.
»Haben Sie heute Abend schon etwas vor?«, fragte sie Marion nun lächelnd. »Ich werde zu meinem Erste-Hilfe-Kurs gehen und dachte, Sie würden vielleicht gerne mitkommen? Es ist für eine gute Sache.«
Marion blickte sie unsicher an. »Ich weiß nicht recht. Was kostet der Kurs denn? Da ich meiner Mutter bis auf einen Schilling mein ganzes Gehalt abgebe, könnte ich nämlich höchstens ein paar Pennys bezahlen.«
»Der Kurs ist ganz umsonst«, erwiderte Maggie mit einem warmherzigen Blick. »Wenn Sie etwas essen wollen, müssen Sie es natürlich bezahlen, aber der Unterricht an sich ist gratis, weil die Organisatoren der Meinung sind, dass wir Frauen wissen sollten, wie man jemanden richtig verbindet, und auch noch viele andere nützliche Dinge für einen eventuellen Kriegsfall lernen sollten.«
»Das klingt interessant, und ich würde liebend gerne mitkommen«, antwortete Marion mit einem Anflug von Sehnsucht in der Stimme. Sie liebte ihre Arbeit bei Harpers und das Zusammensein mit den anderen Mädchen, und sie wäre auch liebend gern einmal abends mit Freundinnen ausgegangen, aber ihre Mutter brauchte ihre Hilfe. »Diese Woche schaffe ich es nicht, aber ich werde mit meiner Mutter sprechen. Vielleicht lässt sie mich ja nächstes Mal mitgehen.«
»Sagen Sie ihr, dass es dort sehr schicklich und angemessen zugeht«, riet Maggie ihr. »Wir werden von ausgebildeten Krankenschwestern unterrichtet, und einmal im Monat hält ein angesehener Arzt dort Vorträge. Ich würde natürlich auch dafür sorgen, dass Sie danach den richtigen Bus nach Hause nehmen.«
»Vielen Dank, Miss Gibbs«, sagte Marion errötend. »Sie sind so nett zu mir.«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie mich außerhalb der Arbeitszeiten ruhig duzen können«, unterbrach Maggie sie und drückte beruhigend Marions Arm. »Ich weiß, wie es ist, wenn man abends heimgehen muss, weil man dort gebraucht wird. Mein Vater war monatelang krank, bevor er starb, und ich musste meiner Mutter helfen, ihn zu pflegen.« Sie seufzte. »Er fehlt mir immer noch.«
»Vermissen Sie auch Ihre Mama?«, wagte Marion zu fragen.
»Manchmal, aber nicht so sehr wie Papa.« Maggies Lächeln wurde unsicher. »Er hat mich sehr geliebt und war furchtbar enttäuscht, als sein Unfall es mir unmöglich machte zu studieren, um Lehrerin zu werden – aber ich arbeite auch sehr gern bei Harpers.«
»Sie teilen sich eine Wohnung mit Mrs. Craven und Miss Minnie von der Änderungsschneiderei, nicht wahr?« Marion errötete. »Entschuldigen Sie, aber sie hat selbst gesagt, ich solle sie so nennen.«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Maggie beruhigend. »Miss Lumley hasst ihren Familiennamen und bat darum, sich stattdessen Miss Minnie nennen zu dürfen, und so tun wir alle das auch schon jahrelang. Ihre Schwester Mildred war Miss Lumley, und ich glaube, Minnie trauert immer noch um sie. Deshalb wird sie von uns allen nur Miss Minnie genannt.« Maggie lächelte. »Sie brauchte sich nicht einmal richtig um ihr