Kapitel eins
New Orleans, Louisiana
Schneller!
Ich renne, bewege die Beine, so schnell ich kann.
Renne durch den prasselnden Regen.
Durch die Straßen und Gassen der Stadt.
Verborgen in den nächtlichen Schatten.
Schneller!
Mein Herz hämmert, das Blut pumpt durch meine Venen. Pfützenwasser spritzt auf, ich blinzle gegen den in Bindfäden fallenden Regen an.
Der allgegenwärtige, erdige Geruch des Mississippi steigt mir in die Nase.
Dumpfig. Vertraut.
Mit wehendem Regencape stürme ich durch die Straßen und Gassen des French Quarter. Immer wieder trete ich mit meinen Stiefeln in tiefe Pfützen.
Schneller!
Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich verwaschen in den Motorhauben einiger in der Nähe des Jackson Square parkender Fahrzeuge, Regenwasser gurgelt in den Gullys, überspült die Straßen, sammelt sich in den Schlaglöchern.
Diese Stadt ist mein Zuhause. Immer schon gewesen.
Und ich liebte diese Stadt.
Bis ich sie nicht mehr liebte.
Ihretwegen.
Ich laufe durch die fast menschenleeren Straßen auf die St. Louis Cathedral zu. Wie ein Leuchtfeuer erhebt sich die Kathedrale vor mir, ihre weiß getünchten Wände sind in helles Licht getaucht, die drei vertrauten Türme ragen in den finsteren, aufgewühlten Himmel. Aus Gewohnheit bekreuzige ich mich, als ich, ohne stehen zu bleiben, einen Blick auf den höchsten Turm werfe, den in der Mitte, mit dem Kreuz darauf. Aus dem Augenwinkel sehe ich die schmiedeeisernen Zäune, die den Jackson Square umgeben.
An der Rückseite der Kathedrale schlüpfe ich in die Pirate’s Alley, eine enge Gasse mit Geschäften. Einige Schaufenster sind erleuchtet, aber die Straße an sich ist leer, alle Fußgänger sind in den Gebäuden und warten darauf, dass das Unwetter vorüberzieht.
Das ist okay, rede ich mir ein. Nein, nein, es ist sogar gut, denn sie wird kommen, trotz des schlechten Wetters.
Ich kenne ihren Tagesablauf in- und auswendig. Außerdem habe ich mich doppelt versichert, dass sie heute Abend nicht davon abweichen wird, dass ihr Wagen dort steht, wo sie ihn drei Mal pro Woche um dieselbe Uhrzeit parkt. Heute ist es so weit. Jetzt, da der Regen, ein nasses Leichentuch, so viel verbirgt, habe ich mehr Zeit, außerdem sind die Chancen, beobachtet – oder, schlimmer noch, erwischt – zu werden, weitaus geringer.
Mein Herz hämmert, meine Brust wird eng vor atemloser Erwartung, als ich das Ende der Gasse nahe der Place de Henriette Delille erreiche. Hier, beim Park, die Kathedrale im Rücken, warte ich, zusammengekauert unter meinem schwarzen Cape, und versuche, wieder zu Atem zu kommen. Ich wische mir die Regentropfen von der Stirn und aus den Augen und starre zur Royal Street hinüber, in der es für gewöhnlich von Fußgängern nur so wimmelt, aber heute Abend sind glücklicherweise nur ein paar vereinzelte Seelen unterwegs, die sich tapfer durch das Unwetter kämpfen, darauf bedacht, so schnell wie möglich aus dem Wolkenbruch raus und ins Trockene zu gelangen. Niemand bemerkt mich oder wirft auch nur einen Blick in meine Richtung. Der sintflutartige Regen schimmert im dunstigen, gelben Licht der Straßenlaternen wie ein Perlenvorhang. Schön. Unheimlich.
Ich schaue auf meine Armbanduhr und vergewissere mich, dass ich pünktlich bin. Als ich den Arm hebe, rinnt Wasser an meinem Cape hinab auf das Kopfsteinpflaster. Meine Skimaske bedeckt Nase und Kinn, die Kapuze umschließt eng mein Gesicht, doch auch das dürfte bei diesem Wetter niemandem auffallen, nur die dunkle Sonnenbrille wirkt etwas fehl am Platz. Aber wir sind in New Orleans, hier gibt es nichts, was wirklich auffallen würde. Hier ist alles erlaubt.
Noch einmal bekreuzige ich mich, dann atme ich langsam aus, um mein wild pochendes Herz zu beruhigen.
Unter dem Regenumhang tastet meine rechte Hand nach dem Griff des Messers, eine scharfe Waffe mit einer dicken, breiten Klinge, die mühelos durch die Haut eines Alligators gleiten und Muskeln und Sehnen durchtrennen könnte.
Ich habe so verdammt lange auf diesen Abend gewartet.
Jetzt, da die Zeit gekommen ist, koste ich ihn aus, den ach-so-süßen Geschmack der Rache. Ich lecke mir die Lippen und richte die Augen auf das Gebäude mit der roten Tür in einer schwach beleuchteten, gewölbten Maueröffnung. Darüber flattert eine gestreifte Markise im stürmischen Wind. Ich warte. Ein Mann mit Aktentasche, den Kopf gebeugt gegen die heftigen Sturmböen, geht an mir vorbei. Eilig ziehe ich mich weiter in die Dunkelheit zurück. Der Mann, darauf bedacht, so schnell wie möglich ins Trockene zu gelangen, wirft nicht mal einen Blick in meine Richtung.
In der Ferne höre ich eine Sirene und erstarre für einen kurzen Moment, doch d