2. Kapitel
Eine Theaterprobe hatte Gerda sich anders vorgestellt. Irgendwie aufregender. Die Gruppe Weißherbst traf sich wie abgesprochen außerhalb von Horumersiel in der alten Gaststätte Zur Robbe, der ein Saal angegliedert war. Das Gebäude hatte auch schon bessere Tage gesehen. Draußen blätterte der Putz von den einstmals weißen Wänden, das Dach wirkte schadhaft, und die Fensterrahmen bestanden aus grün gestrichenem Holz, wobei auch hier kaum noch Farbe zu erkennen war und man sie nur noch an wenigen Stellen erahnen konnte.
Beim Saal handelte sich um einen Raum, an deren Front sich eine Theke aus dunkler Eiche befand. Es roch nach alter Kneipe mit dieser typischen Mischung aus Bier und Qualm. Aus der Toilette waberte der Duft von Klostein herüber und rundete das Odeur ab. Es gab eine kleine Bühne, die mit Stühlen und Tischen vollgestellt war, sodass für die Gruppe nur ein mit Malerkrepp abgeklebter Bereich zur Verfügung stand. Das also sollte die Bretter der Welt suggerieren. Gerda war enttäuscht, weil es nicht einmal Kulissen gab, hinter denen das Publikum die kommenden Geheimnisse nur erahnen konnte.
Gerda hatte es sich so wunderbar ausgemalt, wie sie bei den Proben in einem prächtigen Kostüm auf der Bühne stehen und ihre Rolle sprechen würde. Die bereits einstudierten Worte glitten ihr supergeschmeidig über die Lippen. Doch keiner machte Anstalten, sie in ein Kostüm zu stecken oder sich von ihren schauspielerischen Qualitäten zu überzeugen. Es sah nicht einmal so aus, als würde hier in Kürze eine Theaterprobe stattfinden. Im Gegenteil: Alle waren sehr sportlich gekleidet und wirkten eher, als würden sie eine Gymnastikstunde planen, denn die Mitstreiter trugen Leggings, Jogginghosen und bequeme Schuhe.
»Moin, ich bin Marianne van der Balje«, wurde sie dann von einer korpulenten Mittfünfzigerin begrüßt. »Wir sind hier per Du, also Marianne und nichts mit förmlich. Du musst dann Gerda sein?« Schnarrende Stimme, Feldwebelhaltung und ganz sicher Haare auf den Zähnen. Eindeutig eine Führungskraft!
»Ich bin Gerda, das ist richtig!«
»Gut, dann kurz ein paar Anweisungen: Ich führe hier Regie und habe das Sagen«, kam es sofort. Marianne hielt sich nicht damit auf, um den heißen Brei herumzureden. »Also einfach immer das machen, was ich sage, dann läuft es schon.«
Gerda schluckte. Es war wohl besser, dem Folge zu leisten, alles andere wäre kontraproduktiv und würde nicht gut ausgehen. Marianne van der Balje gelang es, sogar Gerda devot werden zu lassen, denn sie wagte keinen Widerspruch.
Diese ersten Eindrücke waren leider nur der erste Schock, und wenn Gerda geglaubt hatte, es könnte nicht schlimmer kommen, wurde sie nun eines Besseren belehrt.
Der zweite Schreck bestand darin, dass für Gerda, so wie Ino es befürchtet hatte, lediglich eine winzige Nebenrolle vorgesehen war, und es sich bei ihrem Textauszug keineswegs nur um einen Bruchteil ihres Parts handelte. Diese beiden Sätze waren Gerdas Rolle. Sie sollte die Magd auf dem Feld mimen, die nachher sagte: »Das Feld gehört dem Zauberer.« Und später die Abwandlung: »Das Feld gehört dem Grafen.«
Das war keineswegs anspruchsvoll und weit davon entfernt, auf der Bühne als Star gefeiert zu werden.
»Ich hatte an eine etwas größere Darbietung für mich gedacht«, erklärte Gerda dann doch, denn die Enttäuschung war einfach zu groß.
Über Mariannes Gesicht glitt ein Leuchten. »Das trifft sich gut und ist wunderbar. Ich brauche noch wen für den Esel.«
»Für den Esel?«, flüsterte Gerda fassungslos. »Ich soll den Esel spielen?«
Marianne sah sie verständnislos an. »Aber ja, die Rolle passt ganz wunderbar zu dir. Und du musst dich nicht fürchten, sie ist keineswegs anspruchsvoll. Du musst nur ›Iah‹ schreien. Aber bitte in drei verschiedenen Tonlagen. Hoch, tief, hoch! Ich denke, das ist machbar.«
Gerda antwortete tapfer: »Das bekomme ich hin.«
Besser den Esel als nur die beiden Sätze! Sonst lohnten das Kommen und die viele Zeit ja gar nicht. Wie sollte sie das alles Ino klarmachen? Der würde sich vermutlich totlachen, weil sie auf diese Gruppe reingefallen war und völlig falsche Vorstellungen hatte. Er, der Spökenkieker, hatte das alles vorausgesehen!
Marianne van der Balje wirkte zufrieden und hob den speckigen Daumen. »Sehr schön, bitte etwas üben, damit du beim dritten Schrei nicht heiser bist und deine Stimme weg ist. Es ist durchaus eine Kunst, schadlos durch solche Rollen zu kommen.«
»Das kriege ich hin«, bekräftigte Gerda und schluckte erneut, weil sie es noch immer nicht wagte, der Regisseurin zu widersprechen.
Leider kam es noch dicker, denn plötzlich begannen ein paar der Akteure zu singen.
Gerda schaute leicht verdutzt, und sofort trat Viola an ihre Seite. Sie spielte die hübsche Prinzessin, und Gerda musste Marianne insgeheim beipflichten, dass sie eine wunderbare Wahl war. Lange dunkle Löckchen, die sich verspielt um ihr Kinn kringelten, ein ebenmäßiges Gesicht mit einer kle