Einleitung
»Ich arbeite so viel wie nie und weiß immer weniger, wofür!« Dieser Satz von Markus, den ich vor einiger Zeit begleiten durfte, ist mir in guter Erinnerung. Das Bedürfnis nach Sinn, das sich darin ausdrückt, ist riesig. Alte tragende Strukturen lösen sich auf, die gefühlte Sicherheit nimmt ab und die Geschwindigkeit und Menge all der Informationen, die täglich auf uns niederprasseln, haben sich vervielfacht, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Existenzielle Sorgen um unsere Zukunft und unsere Gesundheit belasten uns. Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlage, politische Verwerfungen auf der ganzen Welt und vor unserer Haustür stellen das Leben, wie wir es in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich geführt haben, bedrohlich infrage.
Was trägt in diesen Zeiten? Was gibt uns Kraft, Hoffnung und Inspiration? Das fragen sich viele.
Die Natur ist ein Rückzugs- und Kraftort. Sie ermöglicht uns, wieder zu uns selbst zu kommen. Wenn wir in die Natur gehen, kommen wir Schritt für Schritt bei uns selber an. Wir haben einen großen Schatz direkt vor unserer Haustür!
Noch ist kaum bekannt, welch vielfältige negative Auswirkungen eine dauerhafte Naturentfremdung mit sich bringt. Zwar ist dieNaturdefizitstörung keine medizinische Diagnose, doch beschreibt der Begriff treffend, wie sehr ein gutes Leben die Natur braucht. Denn Naturaufenthalte wirken sich positiv und stabilisierend auf Körper, Seele und Geist aus. Im Grünen zu sein, fördert unsere Gesundheit und schenkt not-wendende Auszeiten von den alltäglichen Belastungen. In der Natur können wir ausloten, was wirklich wichtig ist und wohin unsere Lebensreise gehen soll.
Dass ausgerechnet ich einmal ein Buch über die Sinnsuche in und mit der Natur schreibe, ist für mich so unglaublich wie die Tatsache, dass ich heute als Therapeutin für sinnzentrierte Psychologie mit Menschen in der Natur arbeite. Warum?
Bis ich mit32 Jahren an einer Essstörung erkrankte, arbeitete ich im mittleren Management einer großen Bank. Ich hatte Karriere gemacht und lebte ein Leben auf der Überholspur – bis mein Körper mir die Rote Karte zeigte. In dieser existenziellen Krise haben mich drei Wieder- bzw. Neuentdeckungen aufgefangen: mein Glaube an Gott, die Natur und das Studium der Logotherapie und Existenzanalyse (mehr dazu erzähle ich im zweiten Kapitel).
Meinen Glauben, der mir als Jugendliche sehr wichtig war, hatte ich nie ganz vergessen. Aber Gott hatte in meinem schnellen Leben einfach keinen Platz mehr. Am tiefsten Punkt meines Lebens aber durfte ich die Erfahrung machen, dass Gott unverbrüchlich zu mir steht. Dass mir diese Erfahrung möglich war, habe ich der Natur und ihren sinnenhaften Zeichen zu verdanken.
Die Logotherapie und Existenzanalyse, begründet von Viktor E. Frankl, wird häufig die »dritte Wiener Schule der Psychotherapie« genannt (neben der Psychoanalyse von Sigmund Freud und der Individualpsychologie von Alfred Adler) und auch als sinnzentrierte Psychologie bezeichnet. Mit anderen Worten: Sie bestärkt Menschen darin, ihr Leben sinn- und wertvoll zu gestalten.
Ihr Konzept beruht auf der Erkenntnis, dass der Mensch zutiefst danach strebt, sein Leben in einem Sinnzusammenhang zu verstehen. Gelingt ihm dies nicht, fällt er leicht in eine »existenzielle Frustration«, die zum gefährlichen Nährboden werden kann für seelische Störungen aller Art wie z.B. Neurosen, Depressionen, Kriminalität oder Suchtkrankheiten.
Man könnte Viktor Frankl auch den Vater der Resilienzforschung nennen. Denn mit seiner Logotherapie beweist er, wie trotz widriger Umstände das Leben gemeistert werden kann, und zeigt, aus welchen Quellen wir Kraft schöpfen können. Er bestätigte den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Resilienzfähigkeit eines Menschen und der Sinnerfüllung, die er erlebt.
Viktor Frankl entwickelte die Logotherapie und Existenzanalyse auch auf Basis einer persönlichen Krisenerfahrung. Wegen seiner jüdischen Herkunft war er während des Zweiten Weltkriegs in vier verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert. Er verlor dort seine Frau, seine Eltern und seinen Bruder.
Und dennoch verlor Viktor Frankl nicht seinen Lebensmut. Dieselbst gewählte Aufgabe, anderen Mut zuzusprechen, trug maßgeblich dazu bei, dass er die Zeit im Lager ertragen und überleben konnte. Seine Eindrücke und Erfahrungen verarbeitete er in seinem Buch… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.
»Es gibt nichts auf der Welt w