: Donatella Di Cesare
: Das Komplott an der Macht
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751803847
: 1
: CHF 17.20
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 139
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wer zieht die Fäden? Wer steckt dahinter? Wem nützt es? Immer mehr Menschen stellen sich angesichts der überbordenden Komplexität unserer globalen Gegenwart Fragen dieser Art. Die unlesbar gewordene Welt muss eine verborgene Seite, ein geheimes Reich des tiefen Staats im Staate und der Neuen Weltordnung besitzen, in dem Pläne geschmiedet, Informationen manipuliert und Gedanken kontrolliert werden. Dabei handelt es sich nicht länger nur um Verschwörungstheorien. Donatella Di Cesare diagnostiziert einen Komplottismus als Symptom einer demokratischen Gesellschaft, die in weiten Teilen entpolitisiert ist. Das Komplott ist die Form, in der sich die Bürgerinnen, die sich einer gesichtslosen, techno-ökonomischen Macht ausgeliefert fühlen, auf die Welt beziehen. Der Komplottismus, der die Leere der Demokratie freilegt, erweist sich so als gefährliches Instrument zur Manipulation in einer Welt, in der die gemeinsame Wahrheit in Scherben liegt. In ihrem luziden und originellen Essay sondiert die italienische Philosophin die neuartigen Aspekte eines weltweiten Phänomens vor seinen historischen Hintergründen. Dabei tut sie das Verschwörungsdenken nicht als bloßes Hirngespinst oder argumentativen Fehlschluss ab, sondern entwickelt eine neue Perspektive, in der das Komplott als Phantom der gesichtslosen Macht eine zersplitterte Gemeinschaft heimsucht.

Donatella Di Cesare, 1956 in Rom geboren, lehrt und forscht als Professorin für Theoretische Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Sie war die letzte Schülerin von Hans-Georg Gadamer und gehört zu den engagiertesten Intellektuellen in Italien und Europa. Ihre Bücher und Essays wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen bei Matthes& Seitz Berlin Von der politischen Berufung der Philosophie und Philosophie der Migration.  

Wer zieht die Fäden? In den Untiefen der Intrige


Nur wenige Zeichen – und die auf Twitter lancierte Nachricht verbreitet sich prompt und unauslöschlich im planetarischen Raum des Netzes. Die Follower retweeten, Sympathisanten leiten sie weiter. Das auf den ersten Blick harmlose Gezwitscher bringt einen Zweifel zum Ausdruck, wirft Fragen auf: »#5G Schützt Euch vor den bösartigen Wellen und schädlichen Signalen«, »#Bigpharma Wem nützt die Massenimpfung?« Die Einwände jagen diesem Gezwitscher hinterher, die Entgegnungen verfolgen es vergeblich, während einen der Verdacht beschleicht und sich Angst breitmacht. Eine große Erzählung ist da überhaupt nicht mehr vonnöten; einige wenige Klicks genügen, um die Stimmen des Komplotts in alle Welt hinauszutragen.

Im 21. Jahrhundert hat das Phänomen derartige Ausmaße angenommen, dass immer öfter von einem goldenen Zeitalter des Komplottismus die Rede ist. Kein unverhofft eintretendes Ereignis, das nicht zugleich auch einen Schauder des Misstrauens erregen würde: Umweltkatastrophen, Terroranschläge, unaufhaltsame Migrationen, Wirtschaftskrisen, brisante Konflikte, politische Umstürze. Nach erstem Erstaunen und Empörung greift Panik um sich, steigt die verschwörerische Fieberkurve an. Wer steckt dahinter? Wer zieht die Fäden? Wer hat jene Ränke geschmiedet? Man sucht nach den Schuldigen für Katastrophen, für Armut, Kriege, Ungleichheiten, aber auch für die unzähligen Gewaltakte, Übergriffe und Missbräuche, für einen allgemeinen Mangel an Ethik und Moral, für ein diffuses Unbehagen, für den unendlichen Sinnverlust.

Der Komplottismus ist eine unmittelbare Reaktion auf überbordende Komplexität. Er stellt eine Abkürzung, mithin den schnellsten und einfachsten Weg dar, um einer unlesbar gewordenen Welt beizukommen. Wer zum Komplott Zuflucht sucht, hält die Beunruhigung, die offene Frage nicht mehr aus. Er erträgt es nicht, in einer äußerst wandelbaren und zutiefst instabilen Landschaft zu wohnen, duldet kein Befremden, keinerlei Fremdheit. Er zeigt sich unfähig dazu, sich gemeinsam mit den anderen als exponiert, verletzlich und schutzlos wahrzunehmen, daher jedoch auch als umso freier und verantwortlicher.