1. kapitel
Ellwood war ein präfekt, deswegen hatte er in dem Jahr ein famoses Zimmer, eines, durch dessen Fenster man auf einen merkwürdigen Dachvorsprung gelangte. Ständig kletterte er irgendwo herum, wo er nichts zu suchen hatte. Wer aber den Ausguck auf dem Dach am meisten liebte, war Gaunt. Es gefiel ihm, die Jungs bei ihren Stippvisiten in der Fletcher Hall zu beobachten, wo sie Kekse stibitzten, zu verfolgen, wie Präfekte über den Rasen im Hof schlenderten, wie der Orgelmeister die Kapelle verließ. Es beruhigte ihn zu sehen, dass die Schule auch ohne ihn ihren geordneten Gang weiterging, und zu wissen, dass er darüber erhaben war.
Ellwood saß auch gern auf dem Dach. Er formte seine Hände zu einem Gewehr und feuerte auf alle, die unten vorbeigingen.
»Verdammter Fritz! Den hab ich ins Auge getroffen. Bringdas dem Kaiser nach Hause!«
Gaunt, der die Sommer meist in München verbracht hatte, schloss sich diesen Kriegsspielen eher nicht an.
Er balancierte denPreshutian beim Umblättern auf den Knien und las den letztenIn Memoriam. Sieben der neun Gefallenen hatte er gekannt. Der längste Nachruf war Clarence Roseveare gewidmet, dem ältesten Bruder eines von Ellwoods vielen Freunden. Zur Würdigung von Gaunts Freund – und Feind – Cuthbert-Smith hatte ein magerer Absatz genügt. Beide Jungs waren, so versicherte ihn derPreshutian, eines heldenhaften Todes gestorben. Wie jeder andere Schüler von Preshute, der bislang im Krieg gefallen war.
»Peng!«, machte Ellwood leise neben ihm. »Auf Wiedersehen!« Das sagte er auf Deutsch.
Gaunt zog heftig an seiner Zigarette und faltete die Zeitung zusammen.
»Über Roseveare haben sie ein ganzes Stück mehr zu sagen als über Cuthbert-Smith, was?«
Ellwoods Gewehr wurde wieder zu Händen. Die Finger geschickt, langgliedrig, tintenverschmiert.
»Ja.« Gedankenverloren fasste er sich ans Haar. Es war dunkel und widerspenstig. Er glättete es immer mit Pomade und strich es nach hinten, lebte aber in der ständigen Angst, eine aufsässige Strähne könnte sich lösen und die falsche Art Aufmerksamkeit auf ihn lenken. »Ja, das fand ich auch etwas schäbig.«
»Ein Bauchschuss!« Unwillkürlich wanderte Gaunts Hand zu seinem eigenen Bauch. Er stellte sich vor, wie er von einem Stück Metall gestreift und aufgerissen würde. Unschön.
»Roseveare nimmt das mit seinem Bruder ziemlich mit«, sagte Ellwood. »Die drei Roseveares standen sich sehr nah.«
»Im Speisesaal kam er mir eigentlich vor wie immer.«
»Er ist keiner, der viel Aufhebens macht«, sagte Ellwood und runzelte die Stirn. Er griff nach Gaunts Zigarette und vermied dabei gewissenhaft, dessen Hand zu berühren. So körperlich Ellwoods Beziehung zu seinen anderen Freunden auch war, Gaunt berührte er so gut wie nie, wenn sie sich nicht gerade zum Spaß prügelten. Gaunt wäre lieber gestorben, als Ellwood zu erkennen zu geben, wie viel ihm das ausmachte.
Ellwood zog einmal und gab Gaunt dann die Zigarette zurück.
»Was wohl in meinemIn Memoriam stehen würde?«, sinnierte er.
»›Eitler Geck stirbt bei tragischem Schirmunglück. Ermittlungen anhängig.‹«
»Nein«, widersprach Ellwood. »Nein. Ich glaube, eher etwas wie ›Heute hat die englische Literatur ihren hells