1. KAPITEL
Anfang Dezember, Chelsea, London
„Moment! Stop! Oh, nein …“ Keuchend blieb Sophie Bradshaw stehen und sah den Bus an sich vorbeifahren, während der Fahrer ihren ausgestreckten Arm ignorierte. „Einfach großartig“, murmelte sie, zog ihre dünne Strickjacke enger um sich und versuchte verzweifelt, auf dem eisglatten Bürgersteig nicht auszurutschen. In der Hoffnung, der nächste Bus würde nicht allzu lange auf sich warten lassen, studierte sie den Fahrplan an der Haltestelle.
Enttäuscht stieß sie einen Seufzer aus. Noch zwanzig Minuten. Als wäre das nicht genug, hatte sich der leichte Schneefall – der Chelseas pompöse Einkaufsstraßen in eine Bilderbuchlandschaft verwandelt hatte – in ein regelrechtes Schneegestöber verwandelt, das von eisigem Wind durch die Straßen gefegt wurde.
Voller Sehnsucht sah sie zum Taxistand hinüber. Wäre es zu unvernünftig … nur dieses eine Mal? Ihr letzter Kontoauszug war nicht gerade ermutigend gewesen. Gerade einmal vierzig Pfund. Es dauerte noch eine Woche, bis sie ihren nächsten Gehaltsscheck erhielt, und sie hatte noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft.
Nein, ein Taxi war einfach nicht drin. Sie würde einfach abwarten und darauf hoffen müssen, dass ihre beste Freundin und Arbeitskollegin Ashleigh zu ihr kam, sodass sie mit ihr den neuesten Klatsch über die Veranstaltung austauschen und darüber ihre erfrorenen Hände und ihre wunden Füße einfach vergessen konnte.
Während der drei Stunden, in denen sie ein voll beladenes Tablett zwischen teuer gekleideten Partygästen umhergetragen hatte, war keiner von ihnen auf die Idee gekommen, auch nur einmal Danke zu sagen. Dafür war sie ständig angerempelt worden, zwei Gäste hatten ihr versehentlich auf die Zehen getreten, und einer hatte ihr sogar an den Po gefasst. Zum Glück hatte sie gerade keine Hand freigehabt, um ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Was ihrer Karriere vermutlich nachhaltig geschadet hätte.
Fröstelnd sah sie sich um. Noch immer keine Spur von Ashleigh, und Sophies Handy-Akku hatte einmal wieder seinen Geist aufgegeben. Die schneebedeckten Straßen waren inzwischen menschenleer, und sie fühlte sich mutterseelenallein auf der Welt. Hastig blinzelte sie die heißen Tränen fort, die ihr in die Augen stiegen.
Es waren nicht nur die Kälte und die Müdigkeit, die sie fertigmachten. Sie fühlte sich praktisch unsichtbar. Nicht wie ein menschliches Wesen, sondern so belanglos wie die Cocktails, die sie namenlosen Leuten servierte.
Sie schluckte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Benimm dich nicht wie ein Baby! sagte sie sich im Stillen. Dann war ihre Arbeit eben auch mal hart und unerfreulich. Zumindesthatte sie einen Job – und außerdem wahnsinnig liebe Kolleginnen. Und ihre Wohnung war zwar winzig – zu klein, als dass sie Ashleigh bei sich aufnehmen konnte, die gerade einen Unterschlupf suchte –, aber wenigstens hatte sie ein bezahlbares Dach über dem Kopf, und noch dazu hier in Chelsea. Nicht in der besseren Gegend des Stadtteils, aber immerhin.
Und dass sie sich einsam fühlte? Das machte nichts. Es war besser, als sich in Gesellschaft eines anderen Menschen einsam zu fühlen. Denn das kannte sie schon zur Genüge.
Also straffte sie die Schultern, hob ihr Kinn und verdrängte die düsteren Gedanken. Doch in ihrer Brust brannte immer noch die Sehnsucht nach etwas Größerem als diesem recht überschaubaren Leben, das sie seit eineinhalb Jahren in London führte … seit sie hierhergezogen war.
Auch schon lange davor hatte sie sich mit einem unspektakulären Dasein zufriedengegeben. Wie fühlte es sich wohl an, zu einer dieser pompösen Veranstaltungen eingeladen zu sein, bei denen sie regelmäßig bediente? Sich einmal toll anziehen und herausputzen zu dürfen, anstatt sich ständig nur unauffällig in Schwarzweiß zu kleiden?
Seufzend blickte sie sich noch einmal um in der Hoffnung, das fröhliche Lächeln ihrer alten Freundin würde sie aus ihrer plötzlichen und unerwünschten Melancholie reißen. Aber der Schnee um sie herum fiel um einiges dichter, und noch immer war von