1. KAPITEL
Ins Büro des Schuldirektors gerufen zu werden, war kein Spaß – egal wie alt man war.
Zu diesem Schluss kam Megan Palmer in den fünfzehn Minuten, die sie im Empfangsbereich auf einem alten Plastikstuhl ausharrte, während der Sekundenzeiger der Wanduhr, die vermutlich älter war als sie selbst, behäbig seine Kreise drehte. Mit jedem Ticken wuchs ihre Anspannung.
Eigentlich sollte sie sich längst daran gewöhnt haben. Seit Owen von einer Förderschule für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen auf eine normale Grundschule gewechselt war, hatte man sie immer wieder herzitiert, um über die Schwierigkeiten ihres Sohnes zu sprechen.
Schwierigkeiten. So nannten die besorgten Lehrkräfte es für gewöhnlich.
Die Schwierigkeiten, die ihr sechs Jahre alter Sohn hatte, waren zahlreich: Schwierigkeiten, sich einzufügen, Schwierigkeiten mit den Übergängen, Schwierigkeiten, Anweisungen zu befolgen – sie hatte schon alles Mögliche gehört. Ja, es war nicht leicht, mit Autismus zurechtzukommen – für Owen. Dieser Aspekt ging in den vielen Gesprächen meist unter. Es ging immer nur darum, wie sein Verhalten den Unterricht, die Routinen und die anderen Kinder beeinträchtigte. Wie sehr Owen sich bemühte und wie überwältigend das alltägliche Leben für jemanden sein konnte, dessen Gehirn ein bisschen anders verdrahtet war, darum ging es nie.
Megan wusste nur zu gut, wie schwierig der Umgang mit ihrem Sohn sein konnte. Sie begleitete ihn schon sein ganzes Leben. Die meiste Zeit davon war sie alleinerziehend gewesen. Aber: Die besten Dinge im Leben waren nun einmal nicht die einfachsten. Ihr verstorbener Mann Tim hatte sich mit diesem Satz immer auf seinen Job als Soldat bezogen. Aber Megan fand, dass er auf viele Dinge zutraf. Deshalb hatte sie ihn in den letzten Jahren zu ihrem persönlichen Mantra gemacht.
Viele Dinge in ihrem Leben waren nicht einfach gewesen: zu hören, dass ihr Mann durch eine Sprengfalle getötet worden war, ihren Abschluss zu machen, während sie um ihn trauerte zum Beispiel, Owen großzuziehen, durchzusetzen, dass er eine reguläre Schule besuchen konnte … Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Wahrheit war: Ihr Leben war manchmal verdammt hart. Und sie hatte die leise Ahnung, dass man über ihr heutiges Gespräch mit Direktor Wright etwas ganz Ähnliches würde sagen können.
Dennoch war sie entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, egal wie viele bürokratische Hürden ihr im Weg standen. Für Owen. Sie war kein kleines Mädchen mehr, das sich von einem Grundschuldirektor einschüchtern ließ. Sie straffte die Schulter, ging in Gedanken erneut ihre sorgfältig recherchierten Argumente durch und ignorierte das kleine Rinnsal Angstschweiß zwischen ihren Brüsten.
„Mrs. Palmer, Dr. Wright hat jetzt Zeit für Sie“, erklärte Ms. White, die Schulsekretärin. Die Frau mittleren Alters, die eine Hose und eine Polyesterbluse trug, öffnete die halbhohe Pforte, die das Büro in den öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereich teilte. „Ich werde Ihnen den W…“
„Ich kenne den Weg.“ Etwas zu gut, wenn es nach ihr ging.
Wahrscheinlich wäre sie inzwischen sogar in der Lage, eine Führung durch die All-Saints-Grundschule zu geben. Zügig schritt sie an der missbilligend dreinblickenden Frau vorbei durch die Pforte und ging den kurzen Flur hinunter, der zu den Verwaltungsräumen führte. Dann bog sie links ab. Drei Türen weiter befand sich ihr Ziel. Die Höhle des Löwen, wenn man so wollte.
Sie klopfte fest – vielleicht etwas zu fest – an die Tür, die dadurch ein paar Zentimeter aufschwang. Die Bewegung erregte die Aufmerksamkeit des Schuldirektors, der sie umgehend hereinwinkte. Er hatte das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt und tippte genervt auf dem offenen Laptop vor ihm auf dem Schreibtisch herum.
Megan trat ein und nahm auf einem der zwei Stühle vor dem alten, zerschrammten Holzschreibtisch Platz, während Luke Wright sich wieder der Person am anderen Ende der Leitung widmete. Frustration stieg ihn ihr