1. Kapitel
Selbst nach sechs Monaten kam es ihm immer noch seltsam vor, wieder daheim zu sein.
Noch seltsamer war es, wieder einen Degen zu führen. Während einer besonders heftigen Schlacht hatte Jack Gascoyne sich eigentlich geschworen, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, wenn Gott ihn nur bis zum Sonnenuntergang am Leben ließe.
War das bei Navarra gewesen? Oder bei Valencia? Die verschiedenen Schlachten verschwammen in seinem Kopf immer zu einem einzigen wirren, blutigen Strom, wenn er versuchte, sich an eine bestimmte zu erinnern. Aber das war ohnehin bedeutungslos. Er hatte das Versprechen prompt wieder gebrochen und in dem Gemetzel von Waterloo gekämpft.
Jetzt war der Krieg vorbei, und das Florett in seiner Hand wirkte im Vergleich zu seinem Kavalleriesäbel wie ein Spielzeug, leicht und kaum von Nutzen, hätte er damit tatsächlich sein Leben verteidigen müssen.
Doch an so etwas sollte er nicht denken. Er war in der Bond Street in Angelo’s Fechtschule. Und sein Gegner, Frederick Clifton, keine ernstzunehmende Bedrohung. Abgesehen davon, dass er gewachsen war, war Fred noch ebenso ungestählt wie vor fünfzehn Jahren, als sie noch Stöcke als Schwerter benutzt hatten. Hätte Jack sich entschlossen, sein ganzes Können auszuspielen, wäre selbst diese dünne Klinge durch Freds Körper geglitten wie durch Butter.
Es wäre ihm nur recht geschehen. Er hatte Jack eine weit schmerzvollere Wunde zugefügt, als ein Florett es je könnte, und der Stich, den er damals Jacks Herz zufügte, hatte sich in den vergangenen fünf Jahren nicht geschlossen. Die Zeit heilte, entgegen allen Versprechungen, eben nicht alle Wunden. Jene Verletzung war immer noch schmerzhaft frisch und hatte geblutet, hatte alle Liebe aus ihm herausgespült, bis seine Seele kalt und tot gewesen war.
Während Jacks Geist verkümmert war, war Fred noch immer glücklich und gesund und sich der Pein, die er seinem Freund zugefügt hatte, nicht im Geringsten bewusst. Er dachte, sie könnten ganz leicht wieder zurück in ihre Rollen aus Kindertagen schlüpfen und beste Freunde sein, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen, weder vor noch nach dem Krieg.
„Es ist schön, dich wieder hier zu haben“, sagte Fred warm und herzlich.
„Es ist schön, wieder hier zu sein“, erwiderte Jack wie von selbst. Das war es, was alle von ihm hören wollten, aber er fragte sich, ob es auch stimmte. Nach allem, was er erlebt hatte, kam ihm London zur Weihnachtszeit irgendwie unwirklich vor. Es war, als betrachtete er sein altes Leben durch eine dicke Eisschicht.
„Natürlich hatte ich gehofft, dich schon früher wiederzusehen.“ Im Tonfall seines Freundes klang ein leichter Vorwurf durch, eine Erinnerung an vergessene Verpflichtungen. Ehe er fortgegangen war, hatten die Cliftons ihn als Familienmitglied angesehen. Und als Familie sollte man in Kontakt bleiben.
Aber er hatte eine eigene Familie, mit der er sich herumschlagen durfte. „Ich muss mich entschuldigen. Es gab so viel zu tun. Der Besuch bei meinem Bruder …“
Fred nickte und machte einen Ausfallschritt, um die Balance seiner Waffe zu testen, ehe er sich Jack zuwandte, sich verneigte und dabei einen schwungvollen Salut mit seiner Klinge vollzog. „Und wie geht es Sir Robert?“
„Enttäuscht von mir, wie eh und je“, entgegnete Jack, den Salut erwidernd. Man mochte die Beziehung zwischen ihm und seinem älteren Bruder vielleicht nicht als Zerwürfnis bezeichnen, einfach jedoch war sie nie gewesen.
„Kein bisschen Stolz ob der Ehre, die du deiner Uniform gemacht hast? Keine Erleichterung über deine Unversehrtheit?“, fragte Fred überrascht, während sie die Degen zum Kampf hoben.
„Nichts dergleichen“, sagte Jack.
„Lass dich von ihm nicht ärgern. So war er schon immer. Und du hast doch Freunde, die dich innig lieben und dich nur zu gern ihren Lieben vorstellen würden.“
„Du sprichst von deiner Verlobten“, stellte Jack fest.
Fred begann die Runde mit einer direkten, aber leicht zu parierenden Attacke. „Ich teilte dir meine Verlo