1. Kapitel
Jade
Es ist dunkel. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel. Den Blick auf die Straße gerichtet, konzentriere ich mich auf die Fahrbahnmarkierung, die kaum zu erkennen ist.
»Ich war so dumm«, murmle ich vor mich hin. Wenn ich unterwegs nicht angehalten hätte, um etwas zu essen, und anschließend so viel Zeit in einem Antiquariat vergeudet hätte, müsste ich jetzt nicht durch dieses Wetterchaos fahren.
Andererseits wusste ich, als ich von Oregon nach Montana aufbrach, dass die Nachrichtensender einen Schneesturm angekündigt hatten. Ein Sturm, vor dem mich nicht nur mein Dad, sondern auch Cybil, meine beste Freundin, und ihr Mann Tanner mehrfach gewarnt hatten.
Nicht, dass ich auf einen von ihnen gehört hätte. Warum sollte ich den guten Rat von Leuten annehmen, denen ich vertraue? Das tue ich nie, weil ich manchmal wirklich stur sein kann. Deshalb stecke ich nicht nur mitten in einem Schneesturm, sondern muss mein ganzes Leben neu ausrichten, weil mein Buchladen geschlossen wurde und damit alles aus den Fugen geraten ist.
Okay, mein Geschäft hat nicht geschlossen, weil ich den Rat anderer nicht befolgt habe, sondern weil Mag McGregor entschieden hat, dass es absolut unheilig ist, in einem Buchladen in ihrer Stadt Bücher und zugleich Sexspielzeug anzubieten. Sie hat dafür gesorgt, dass sich sogar die Kunden unangenehm fühlten, die nur einen Ratgeber für die Gartenarbeit kaufen wollten.
Wie die Frau von dem versteckten Raum im hinteren Teil meines Ladens erfahren hat, in dem die Regale mit Sexspielzeug standen, weiß ich nicht. Aber ich würde meinen letzten Dollar darauf wetten, dass sie viel glücklicher wäre, wenn sie sich etwas ausgesucht und es ab und zu benutzt hätte.
Mein Leben geht auch in die Brüche, weil ich den Rat meiner besten Freundin nicht befolgt hatte. Sie meinte, ich solle mich nicht mehr mit Carl verabreden. Vor einer gefühlten Ewigkeit war ich mit ihm zusammen und trennte mich, nachdem er mich betrogen hatte. Als ich nun wieder Kontakt zu ihm hatte, nahm mich sogar meine Mom beiseite und redete mir ins Gewissen, ihm kein Geld zu leihen, damit er ein Malergeschäft eröffnen kann. Hätte ich auf Cybil oder meine Mom gehört, wäre ich jetzt vielleicht nicht arbeitslos, obdachlos, männerlos, pleite und würde vermutlich nicht mitten durch einen Schneesturm fahren.
Ein entgegenkommender Sattelschlepper blendet mich. Die hellen Scheinwerfer machen es noch schwieriger, auch nur ein paar Meter der Fahrbahn zu erkennen. Seufzend nehme ich den Fuß vom Gas, umklammere das Lenkrad etwas stärker und halte den Atem an, als der Sattelschlepper an mir vorbeifährt. Im Luftzug und wegen der schlechten Straßenverhältnisse haben die Reifen meines Autos kaum Halt auf der Fahrbahn. Doch auch ohne Gegenverkehr kann ich kaum die Spur halten, während ich einen Hügel hinauffahre.
Oben angekommen, atme ich tief durch und überlege, ob ich nicht einfach irgendwo anhalten und warten sollte, bis zumindest der Schneesturm vorübergezogen ist. Laut Routenplaner könnte ich in etwas mehr als einer Stunde bei Cybil und Tanner sein. Allerdings lässt das Schneetreiben nicht nach, um ehrlich zu sein, wird es von Minute zu Minute schlimmer.
Als hätte meine beste Freundin meine Gedanken erraten, unterbricht das Klingeln meines Handys das Lied im Autoradio, das gerade läuft. Ich drücke einen Knopf am Lenkrad, um das Gespräch anzunehmen. »Hey«, zwitschere ich, in der Hoffnung, nicht so besorgt zu klingen, wie ich mich im Moment fühle.
»Bist du noch weit weg?«, fragt sie besorgt. »Bei uns schaffen es die Räumfahrzeuge nicht, die Straßen frei