: Ulla Mothes
: Morgenluft Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104916774
: 1
: CHF 16.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein unterhaltsamer Gesellschaftsroman über Gemeinschaft, Geheimnisse und Lebensträume  Eine kleine Gemeinschaft vor großen Veränderungen: Die beschauliche Kleingartenkolonie »Flusseck« soll einem großen Mehrfamilienhaus weichen. Bagger und Beton statt Bienensummen? Alteingesessene und neue Pächter, Paare, Singlesund Familien, müssen jetzt zusammenhalten - da taucht plötzlich eine Fremde auf und bezieht eine leerstehende Laube: die Architektin Lu, die jede Menge Insiderwissen hat. Doch bringt diese Frau tatsächlich die Rettung, oder schmiedet sie ganz eigene Pläne?  In der Kolonie rumort es. Nerven liegen blank. Der drohende Verlust ihres Idylls zwingt die Nachbarn, sich Konflikten zu stellen, auch inneren. Denn alle haben ihr kleines persönliches Geheimnis und Sehnsucht nach etwas, was sie sich nicht eingestehen.

Ulla Mothes, 1964 geboren, wuchs in der Mark Brandenburg sowie in Ostberlin auf. Ausreise aus der DDR 1986. Sie begann als Kulturjournalistin zu schreiben und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Ulla Mothes lebt als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin. 

2UNRUHE


»Das mit dem Hamster ist ein Ding, oder? Genial.« Sara saß auf dem Ecksofa und kämmte sich das Haar.

Efkan, der gerade hinter ihr den Ofen anfeuerte, lachte.

»Wenn ich das Mutter erzähle, die glaubt es nicht.« Während Efkan komplett in Deutschland aufgewachsen war, war seine Mutter als Kind oft monatelang in der Türkei bei der Familie gewesen, weil beide Eltern arbeiteten und Geld ins arme Ostanatolien schickten. Seine Mutter fand die Deutschen in vielerlei Hinsicht verrückt, und Efkan konnte es nachvollziehen – jedenfalls was den Hamster betraf.

Sara ließ die Haarbürste in ihren Schoß fallen und griff nach ihrem Handy. »Du, dieses Elbtal wurde wegen der Brücke von der Weltkulturerbeliste gestrichen.«

»Also ist sie doch gebaut worden«, sagte Efkan, schloss die Ofentür und stand auf.

Sara scrollte. »Aber es war eine knappe Sache. Und wegen dieser Fledermaus, dieser Hufeisennase, dürfen die Autos im Sommer nur dreißig fahren.«

Efkan setzte sich neben seine Frau und schob den Arm hinter ihrer Taille durch. Sie trug schon ihr Nachtshirt. Es war zwar langärmelig wegen der kalten Frühjahrsnächte am Fluss, aber weich, und vor allem störte nichts, als er seine Hand daruntergleiten ließ.

»Und wie findest du Lu so?«, fragte sie.

»Diesen Hungerhaken?« Efkans Hand rutschte hoch an den üppigen Busen seiner Frau. Ihre Haut war weich und warm und glatt wie der Hefeteig seiner Großmutter für die sesambestreuten Butterringe.

Sara wand sich aus dem Griff. »Nein, im Ernst.«

»Ich bin ja erst so spät gekommen, weiß nicht«, sagte Efkan und arbeitete sich wieder vor.

»Ich glaube, sie wird tun, was sie kann. Aber irgendwie traue ich ihr nicht.«

Efkans Hand sank herab. Sara war konzentriert. Aber nicht auf sein Streicheln. Sondern wegen etwas, woran er nicht erinnert werden wollte. Deshalb blieb er mit dem, was er sagte, an der Oberfläche. »Wahrscheinlich ist Lu unsere letzte Hoffnung. Ich meine, der Garten, es ist immer so schön sonntags mit der Familie. Und die Hühner …«

»Ich weiß«, sagte Sara und schmiegte sich an ihn. Aber nicht verliebt, sondern tröstend, was Efkan nun ernsthaftes Unbehagen bereitete. Er wollte nicht getröstet werden, weil er gern für die Seinen da war, aber selbst keine Kinder zum Umsorgen hatte. Er wollte stark sein. Aber was war er schon, stark jedenfalls nicht …

Sein Garten war das, was er seiner Familie bieten konnte. Das Einzige, dachte er bitter. Alle kamen sonntags, die Kinder tobten auf dem Rasen, und Mert und er grillten.

»Wollen wir es noch mal mit einer künstlichen Befruchtung versuchen?«, fragte Sara plötzlich.

Efkan schüttelte den Kopf. »Mein Samen ist nicht gut genug. Aber wenn du willst, also …« Er schluckte. »Wenn du willst, versuchen wir es mit einer Samenbank.«

»Was? Was sagst du da?« Ihr Oberkörper ruckte zurück, und sie sah ihn gekränkt an. »Wenn ich ein Kind will, dann will ich es von dir. Ich will kein Kind von einem anderen. Auch keinen Samen.«

Er musterte sie im Licht der Stehlampe. »Du willst nicht unbedingt ein Kind?«

»Um den Preis nicht. Ich will mit dir sein, Efkan. Mit dir.«

Das hätte er nicht gedacht. Er dachte immer, jede Frau wolle Kinder. Kinder waren das Lebenselixier der Familie.

»Efka