KAPITEL EINSRUBY
Manchmal träume ich davon, ein berühmter Popstar zu sein.
Dann tauche ich in den immer gleichen verrückten Tagtraum ab, in dem ich jemand ganz anderes bin, jemand Glamouröses und Selbstbewusstes. Ich stelle mir vor, wie ich im Scheinwerferlicht eine gewaltige Bühne betrete, unter den Blicken Tausender Fans, die kreischen und jubeln, während ich mir das Mikro schnappe und in der Bühnenmitte in Position gehe. Meine Backgroundtänzerinnen formieren sich hinter mir, und dann verdunkelt sich die Bühne. Die Band spielt die ersten Takte, Musik erfüllt das Stadion. Begeisterter Jubel brandet auf, als die Fans den Anfang ihres Lieblingssongs erkennen. Die Scheinwerfer gehen an, und ich lege eine unglaubliche Tanzchoreographie hin, perfekt synchron mit meinen Tänzerinnen. Dann hebe ich das Mikro an die Lippen und …
PLATSCH.
»AHHH!«, schreie ich und springe auf, weil mich ein großer Klecks Kartoffelbrei mitten im Gesicht getroffen hat. »WAS SOLL DAS?!«
»Ups.« Mein Bruder Roman kichert. »Sorry, Ruby. Ich hatte eigentlich auf Reggie gezielt.«
Unsere zottelige Hündin Daisy kommt von ihrem Körbchen herübergetänzelt und springt fröhlich bellend an mir hoch. Offenbar hofft sie darauf, dass mir der Kartoffelbrei vom Gesicht tropft und sie ihn vom Boden schlecken kann.
»War trotzdem ein guter Wurf«, kommentiert John vom anderen Ende des Tisches. Er hebt gerade lange genug den Kopf aus seinem Buch, um anerkennend meine kartoffelverschmierte Visage zu betrachten. »Du hast Ruby wirklich mitten ins Gesicht getroffen, nicht schlecht.«
»Danke, John«, antwortet Roman grinsend und belädt seinen Löffel mit dem nächsten Klecks Kartoffelbrei.
»Kann mir mal jemand eine Serviette geben?«, frage ich und zeige auf einen Stapel Papiertücher, der außerhalb meiner Reichweite liegt, während Daisy mich weiter anbellt. »Der Kartoffelbrei läuft mir ins Auge!«
»Der Wurf war grottenschlecht«, widerspricht Reggie, der neben mir sitzt. »Was eigentlich niemanden überraschen sollte. Roman war schon immer der schlechteste Werfer der Familie.«
»Geht das schon wieder los«, sagt Roman seufzend. »Neid ist keine schöne Eigenschaft, Reggie. Find dich endlich damit ab, dass ich der mit Abstand erfolgreichere, talentiertere und intelligentere von uns beiden bin. Von meinem besseren Aussehen ganz zu schweigen.«
Reggie verdreht die Augen. »Wir sind eineiige Zwillinge. Wo siehst du denn besser aus?«
»Meine Augen sind schöner«, verkündet Roman schulterzuckend.
»Sagt wer?«
»Mum.«
»Könnte mirBITTE jemand eine Serviette geben?«, übertöne ich Daisys Bellen und versuche, mir den Kartoffelbrei mit den Händen abzuwischen. Damit mache ich aber alles nur noch schlimmer, verschmiere den Brei im ganzen Gesicht und verklebe mir die Wimpern.
»Mum«, ignoriert mich Reggie einfach, »hast du Roman wirklich gesagt, er hätte schönere Augen als ich?«
»Was ist, mein Schatz?«, fragt Mum vom Kopfende des Tisches und blickt verwirrt von dem Manuskript auf ihrem Schoß auf. »Ja, du kannst gern noch mehr Kartoffelbrei haben. Bedien dich einfach. Daisy, könntest du bitte aufhören zu bellen, meine Süße?«
»Das war nicht meine Frage, Mum!« Reggie lacht und schüttelt den Kopf, als Daisy noch lauter zu bellen beginnt. »Findest du, dass Roman schönere Augen hat als ich?«
»Ihr habt beide wunderschöne Augen«, versichert ihm Mum und wendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Manuskript zu. »Wie alle meine Kinder. Die habt ihr von mir.«
»Serviette! Bitte! Ich habe Kartoffelbrei im Auge!«, rufe ich verzweifelt.
»Gar nicht wahr, Mum. Jeroame hat total komische Glupschaugen«, stichelt Roman und zieht seinen Löffel nach hinten, bereit, die nächste Ladung Kartoffelbrei über den Tisch z