1
Carlota
An diesem Tag würden sie eintreffen, die beiden Herren, deren Boot soeben durch den Mangrovenwald glitt. Der Dschungel war voller Geräusche. Vögel schrien volltönend ihr Unbehagen hinaus, als könnten sie das Herannahen fremder Eindringlinge vorhersehen. In ihren Hütten hinter dem Haupthaus fanden die Hybriden keine Ruhe. Selbst der alte Esel, der sich an seinem Mais gütlich tat, machte einen gereizten Eindruck.
Carlota hatte in der vergangenen Nacht viel Zeit damit zugebracht, eingehend die Zimmerdecke zu betrachten, und am Morgen tat ihr der Bauch weh, wie immer, wenn sie nervös war. Ramona hatte ihr einen Bitterorangentee aufbrühen müssen. Carlota gefiel es gar nicht, wenn die Nerven ihr Streiche spielten, aber Dr. Moreau bekam eben selten Besuch. Die Isolation, so sagte ihr Vater, tue ihr gut. Als kleines Kind war sie krank gewesen, und Ruhe und Gelassenheit waren wichtig für sie. Außerdem waren die Hybriden angemessenem gesellschaftlichem Umgang im Wege. Wenn überhaupt mal jemand Yaxaktun besuchte, dann waren es entweder Francisco Ritter, der Anwalt und Korrespondent ihres Vaters, oder Hernando Lizalde.
Herr Lizalde kam immer allein. Carlota war ihm nie vorgestellt worden. Zweimal hatte sie ihn aus einiger Entfernung mit ihrem Vater außerhalb des Hauses herumgehen sehen. Jedes Mal war er rasch wieder verschwunden, er hatte noch nicht eine Nacht in einem der Gästezimmer verbracht. So oder so war er kein häufiger Gast. Seine Anwesenheit schlug sich überwiegend in Briefen nieder, die alle paar Monate eintrafen.
Und nun kam Herr Lizalde, sonst nur eine ferne Präsenz, ein Name, ausgesprochen, doch nie wirklich manifestiert, zu Besuch – und nicht nur das, er brachte auch den neuenmayordomo mit. Seit Melquíades sie vor beinahe einem Jahr verlassen hatte, hatte der Doktor allein die Zügel von Yaxaktun in der Hand gehalten, eine unbefriedigende Situation, da er den größten Teil seiner Zeit im Labor verbrachte oder tief in seinen Überlegungen versunken war. Dennoch schien ihr Vater nicht geneigt gewesen, einen neuen Verwalter zu suchen.
»Der Doktor ist zu wählerisch«, sagte Ramona, während sie die Knoten und Verfilzungen aus Carlotas Haar bürstete. »Herr Lizalde, er schickt Briefe und schreibt, hier wäre dieser Mann, dort ein anderer. Aber Ihr Vater sagt immer: ›Nein, dieser ist nicht geeignet und jener auch nicht.‹ Als kämen so viele Menschen hierher.«
»Warum wollen die Leute nicht nach Yaxaktun kommen?«, fragte Carlota.
»Es ist weit von der Hauptstadt entfernt. Und Sie wissen ja, was die Leute sagen. Sie alle klagen, es läge zu nah am Rebellengebiet. Sie denken, es ist das Ende der Welt.«
»So abgelegen ist es nicht«, widersprach Carlota, auch wenn ihre Vorstellung von der Halbinsel ausschließlich auf Karten in Büchern beruhte, in denen Entfernungen zu ebenmäßigen schwarz-weißen Linien wurden.
»Es ist enorm abgelegen. So sehr, dass Menschen, die an Pflasterstraßen und die tägliche Zeitung am Morgen gewöhnt sind, lieber zweimal nachdenken, ehe sie herkommen.«
»Warum bist du dann hier?«
»Meine Familie, sie haben einen Ehemann für mich ausgesucht, aber er hat nichts getaugt. Faul, hat den ganzen Tag nicht gearbeitet, und am Abend hat er mich geschlagen. Lange Zeit habe ich mich nicht beklagt, aber dan