: Virginia Woolf
: Orlando Eine Biographie
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104917771
: 1
: CHF 13.00
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Orlando« ist alles: die wundersame Geschichte einer Verwandlung, eine Jagd durch die Jahrhunderte, Gesellschaftsporträt, der schönste Liebesbrief der Literaturgeschichte und ein Roman, der gegenwärtiger nicht sein könnte: Spielerisch, furios und unvergesslich verhandelt dieses sprachliches wie stilistisches Wunderwerk, wie flirrend und leicht Identitäten und Lebensentwürfe sich aufzulösen, wandeln und zu etwas ganz Eigenem werden können. Eine camelionhafte und übermütige Geschichte, die mit einem jungen Höfling im 16. Jahrhundert beginnt und mit einer Autorin in Virginia Woolfs eigener Zeit endet.

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.

Kapitel I


Er – denn es konnte keinen Zweifel an seinem Geschlecht geben, wenn auch die Mode der Zeit einiges tat, es zu verhüllen – war soeben dabei, auf den Kopf eines Mohren einzusäbeln, der von den Dachbalken baumelte. Dieser hatte die Farbe eines alten Fußballs und mehr oder weniger die Form eines solchen, bis auf die eingefallenen Wangen und die ein oder zwei Strähnen strohiger, trockener Haare, wie die Haare einer Kokosnuss. Orlandos Vater, oder vielleicht sein Großvater, hatte ihn von den Schultern eines riesenhaften Heiden geschlagen, der unter dem Mond der barbarischen Felder Afrikas aufgesprungen war; und nun baumelte er, leise, unablässig, in dem Luftzug, der niemals aufhörte, durch die Dachkammern des gigantischen Hauses des Lords zu wehen, der ihn erschlagen hatte.

Orlandos Väter waren durch Felder von Asphodelen geritten, und durch steinige Felder und von fremden Flüssen bewässerte Felder, und sie hatten viele Köpfe von vielen Farben von vielen Schultern geschlagen und sie zurückgebracht, um sie von den Dachbalken hängen zu lassen. Das würde Orlando ebenfalls tun, gelobte er. Doch da er erst sechzehn war und zu jung, um in Afrika oder Frankreich mit ihnen zu reiten, stahl er sich oftmals fort von seiner Mutter und den Pfauen im Garten und ging in seine Dachkammer und hieb und stieß und zersäbelte die Luft mit seiner Klinge. Manchmal durchschnitt er die Schnur, so dass der Schädel auf den Boden plumpste und er ihn wieder aufhängen musste, wobei er ihn mit einiger Ritterlichkeit fast außerhalb seiner Reichweite befestigte, so dass sein Feind ihn durch geschrumpfte, schwarze Lippen triumphierend angrinste. Der Schädel baumelte hin und her, denn das Haus, in dessen Dach er wohnte, war so riesig, dass der Wind selbst in ihm verfangen schien, hierhin wehte, dorthin wehte, Winter wie Sommer. Der grüne Wandteppich mit den Jägern darauf bewegte sich unablässig. Seine Väter waren von Adel gewesen, seit es sie gab. Sie waren, Kronen auf den Köpfen tragend, aus den nördlichen Nebeln gekommen. Stammten die Balken der Dunkelheit im Raum und die gelben Lachen, die Karos auf den Boden malten, etwa nicht von der Sonne, die durch das farbige Glas eines riesigen Wappens im Fenster fiel? Orlando stand nun mitten im gelben Leib eines heraldischen Leoparden. Als er die Hand auf das Fenstersims legte, um das Fenster aufzustoßen, färbte sie sich unverzüglich rot, blau und gelb wie ein Schmetterlingsflügel. So mag jenen, die eine Vorliebe für Symbole und eine Neigung, sie zu entziffern, haben, auffallen, dass die wohlgeformten Beine, der schöne Leib und die kräftigen Schultern zwar allesamt mit verschiedenen Tönungen heraldischen Lichts geschmückt waren, Orlandos Gesicht jedoch, als er das Fenster aufstieß, einzig von der Sonne selbst beleuchtet war. Ein aufrichtigeres, widerspenstigeres Gesicht ließe sich unmöglich finden. Glücklich die Mutter, die ein solches Leben austrägt, glücklicher noch der Biograph, der es aufzeichnet! Nie braucht sie sich zu grämen, noch er die Hilfe von Romanschreiber oder Dichter anzurufen. Von Tat zu Tat, von Ruhm zu Ruhm, von Amt zu Amt muss er schreiten, seinen Schreiber im Gef