: Dagmar Fenner
: Einführung in die Angewandte Ethik
: UTB GmbH
: 9783846359020
: 2
: CHF 27.00
:
: Allgemeines, Lexika
: German
: 500
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Bedarf an ethischer Orientierung ist durch den enormen wissenschaftlich-technischen Fortschritt im 20. Jahrhundert stark gestiegen. Die noch junge philosophische Disziplin der Angewandten Ethik versucht, mittels einer kritischen Analyse der Positionen und Argumente zur Lösung aktueller moralischer Konflikte in der Gesellschaft beizutragen. Dieser Band führt mit vielen Anschauungsbeispielen in die Grundlagen und die wichtigsten Bereichsethiken der Angewandten Ethik ein: Medizinethik, Naturethik (Umwelt- und Tierethik), Wissenschaftsethik, Technikethik, Medienethik und Wirtschaftsethik. Die völlig überarbeitete Zweitauflage berücksichtigt neue Entwicklungen in den verschiedenen Handlungsbereichen. So wurde z. B. ein neues Kapitel zur KI und Robotik eingefügt (Wissenschaftsethik). 'Die Autorin hat ein Werk vorgelegt, das überaus geeignet erscheint zum Standardwerk hinsichtlich der Angewandten Ethik zu werden. Es überzeugt durch seinen profunden Kenntnisreichtum und die starke Praxisorientierung.' (socialnet.de)

Prof. Dr. Dagmar Fenner forscht und lehrt am Philosophischen Seminar der Universität Basel.

1.2Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis


Wie im vorangegangenen Kapitel bereits anklang, wird das Verhältnis von Theorie und Praxis in der AngewandtenEthik sehr unterschiedlich beurteilt. Die meisten wissenschaftlichen Beiträge von Philosophen beschäftigen sich mit abstrakten ethischen Konzepten und theoretischen Überlegungen, die sie im Sinne desTop down-Modells für die Orientierung in der Praxis fruchtbar machen wollen.Bottom up-Modelle hingegen bekamen Ende des 20. Jahrhunderts Auftrieb durch die Renaissance der Kasuistik in der Medizinethik, ausgelöst durch die AbhandlungThe Abuse of Casuistry: A history of moral reasoning (1988) der beiden Philosophen AlbertJonsen und Stephen Toulmin. Bei derKasuistik, abgeleitet von lateinisch „casus“: „Fall, Vorkommen“ steht die Einzelfallbetrachtung im Zentrum. Die in der Biomedizin angewandte reine Kasuistik versucht, durch eine sorgfältige Beschreibung konkreter Probleme oder zusätzlich noch durch Vergleiche und Analogien mit ähnlichen Fällen oder Präzedenzfällen zu moralischen Entscheidungen zu gelangen (vgl.Stoecker u. a., 8;Schöne-Seifert, 25). Bei ihrer Tätigkeit in Ethikkommissionen machten Jonsen und Toulmin die Erfahrung, dass sich ein Konsens in moralischen Konfliktfällen wie z. B. über einen konkreten Schwangerschaftsabbruch niemals auf der Ebene abstrakter Prinzipien wie „Recht aufLeben“ des Embryos und „Recht aufSelbstbestimmung“ der Frau herstellen lasse (Jonsen u. a., 5). Einigkeit finde man immer nur „in einer geteilten Wahrnehmung dessen, was in ganz bestimmten menschlichen Situationen spezifisch auf dem Spiel steht“ (ebd., 18). Es gehe darum, in der jeweiligen konkreten Situation ein gerechtes Glei