Erste Szene
Ein Künstler-Atelier.
Es giebt eine Gegend in London, welche die Genossenschaft der Maler sich vorzugsweise auserkoren hat. Wenn man von Fitzroy-square ausgeht, kommt man in ein Labyrinth den schmutzigen Straßen, in denen man überall die den Malerwerkstätten eigenthümlichen hohen breiten Fenster bemerkt. Diese dumpfen, düstern Straßen, welche den Anschein haben, als ob sie einst bessere Tage gesehen, sind der Aufenthalt der aufstrebenden Kunst, während die erfolgreiche Kunst nach Kensington entflieht, wo die Seele des Malers unter reinerem Himmel, unter dem Gesange der Vögel und dem Rauschen der Waldbäume einen freieren Aufschwung nimmt. Allerdings bleibt zuweilen auch ein großer Mann in der düstern Nachbarschaft zurück, gerade als ob er die Ringenden nicht gern allein und entmuthigt zurücklassen möchte; aber die Nachbarschaft wird mit jedem Tage düsterer und mit jedem Tage ziehen die erfolgreichen Maler mehr nach Westen.
Für Laurence Bell, Schüler, und Träger einer goldenen Medaille, der den ganzen Tag über in seiner Malerwerkstätte angestrengt arbeitete, war die Düsterheit der Nachbarschaft von keinem sonderlichen Belang. Ein Mensch lebt nicht allein innerhalb der vier Backsteinmauern, die er von dem Hausherrn gemiethet hat. Er besitzt eine eigene Wohnung, die in seiner selbstgeschaffenen Welt liegt und für die er weder Miethe noch Steuern zahlt. Man kann zwei Menschen finden, die dasselbe Haus bewohnen und doch so entfernt von einander leben, als wären sie Bewohner von Kamschatka und Peru. Einer wohnt vielleicht in einer schönen, blühenden Gegend, wo die Stimmen der Singvögel ihm den ganzen Tag über Musik machen, während der Andere sich in einer nordischen, von Bären bevölkerten Wildniß aufhält.
Die Welt, welche Laurence Bell bewohnte, war eine sehr angenehme, und die Umgebung von Charnockstraße hatte für ihn nicht so viel Wirklichkeit, als die weißen Mauern der Paläste von Rom und die lustigen Säulenhallen den Athen, die er nur in seinen Träumen gesehen hatte. Er war jung und die Zukunft erschien ihm in so rosigem Lichte, daß es kaum zu Verwundern war, wenn er einigermaßen die düstere Gegenwart vergaß. Der Glorienschein seiner Kunst umstrahlte ihn und die Welt erschien ihm wie ein leuchtendes Panorama, bewohnt von den Göttern und Göttinnen der italienischen Maler.
Auch fehlte in seinem Leben jener andere Zauber nicht, der auch den gewöhnlichsten Menschen gemein ist. Wie Laurence Bell im Zwielicht des kalten Märzabends vor seiner Staffelei saß, stand eine Mädchengestalt neben seinem Stuhle, und ein so liebliches Gesicht, wie er nur j