Zweites Kapitel.
In welchem zeitige Vorsorge für einen Fall getroffen wird, der bisweilen in den geordnetsten Familien vorkommt.
»Mein Leben lang will ich mich glücklich schätzen«, sagte Mrs. Chick, »daß ich mich aussprach, als ich nicht entfernt daran dachte, was uns bevorstand – in der Tat; es war, wie wenn ich durch eine höhere Fügung geleitet würde, als ich Fanny alles vergab. Was nun auch kommen mag, das wird mir stets ein Trost bleiben!«
Mrs. Chick sprach in diesen eindrucksvollen Worten, als sie vom Frauenschneider, der in einem oberen Zimmer mit der Anfertigung von Trauergewändern beschäftigt war, wieder nach dem Besuchszimmer zurückkam. Ihre Worte galten Mr. Chick, einem beleibten, kahlköpfigen Gentleman mit sehr breitem Gesicht, der seine Hände stets in den Taschen trug und einen natürlichen Hang besaß, Arien vor sich hin zu pfeifen oder zu summen. Dies war nun freilich in einem Hause der Trauer nicht sehr angebracht und er fühlte es auch: aber es kostete ihn nicht geringe Anstrengung, seine Liebhaberei zu unterlassen.
»Strenge dich doch nicht allzusehr an, Frau«, sagte Mr. Chick, »denn du wirst sonst sehen, daß du deine Krämpfe kriegst. Tra-la-la-la! Behüt' mich – wie ich mich vergesse. Wir sind übernächtig – heute rot, morgen tot.«
Mrs. Chick begnügte sich mit einem Blick des Vorwurfs und nahm sodann den Faden ihres Gesprächs wieder auf.
»Ich hoffe in der Tat«, sagte sie, »dieses herzzerreißende Ereignis wird für uns alle eine Warnung sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, Anstrengungen durchzumachen für die Zeit, wenn wir es nötig haben. Alles führt eine Lehre mit sich, wenn wir sie nur benutzen wollen, und es ist bloß unsere Schuld, wenn wir nicht auf diesen einen wichtigen Wink achtgeben.«
Mr. Chick störte das auf diese Bemerkung folgende ernste Schweigen durch die auffallend unpassende Arie: ›Ein Schlosser hat en G'sellen g'habt‹, unterbrach sich aber schnell mit einiger Verwirrung und erklärte sodann, es sei ohne Zweifel unser eigenes Verschulden, wenn wir so ein trauriges Geschick wie das gegenwärtige uns nicht zur Lehre machten.
»Sie sollten zu was Besserem Anlaß geben, meine ich, Mr. Chick«, erwiderte seine zweite Hälfte nach einer kurzen Pause, »als zu Schelmenliedern oder zu der ebenso nichtssagenden und gefühllosen Bemerkung des ›Rumpditty bau wau wau!‹« In dieser hatte sich nämlich Mr. Chick in halblautem Tone wirklich ergangen, und seine Frau Gemahlin ahmte ihn spottend nach.
»Nur eine Gewohnheit, meine Liebe«, entschuldigte sich Mr. Chick.
»Unsinn! Gewohnheit!« entgegnete die Dame. »Wenn du ein vernünftiger Mensch bist, so komm' mir bitte nicht mit solchen lächerlichen Ausreden. Gewohnheit! Wenn ich mir die Gewohnheit, wie du's nennst, aneignen wollte, wie die Fliegen an der Zimmerdecke spazieren zu gehen, so würde ich's wahrscheinlich oft genug zu hören bekommen.«
Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte eine derartige Gewohnheit sehr auffallen müssen, und auch Mr. Chick mochte dies einsehen, denn er verriet nicht die kleinste Neigung, zu widersprechen.
»Und wie geht's dem Bübchen, Frau?« fragte Mr. Chick, um der peinlichen Stimmung auszuweichen.
»Was für ein Bübchen meinst du?« fragte Mrs. Chick. »Ich habe heute morgen im Speisezimmer drunten eine solche Menge von Bübchen gehabt, daß man seinen Sinnen kaum glauben sollte.«
»Eine Menge von Bübchen?« wiederholte Mr. Chick, indem er mit dem Ausdruck größter Unruhe umherblickte.
»Den meisten Menschen würde es sicherlich eingefallen sein«, entgegnete Mrs. Chick, »nach dem Hinscheiden der armen Fanny für eine Amme zu sorgen.«
»O! Ah!« versetzte Mr. Chick – »Turolt – so ist das Leben, wollte ich sagen. Ich hoffe, du hast das Richtige gefunden, meine Liebe.«
»In der Tat, nein«, sagte Mrs. Chick, »und das wird auch nicht so schnell gehen, so weit ich die Dinge übersehen kann. Inzwischen wird natürlich das Kind –«
»Zum Teufel fahren«, versetzte Mr. Chick gedankenvoll. »Natürlich.«
Die Entrüstung, die sich bei der Idee, daß ein Dombey eine solche Reise antreten könnte, in Mrs. Chicks Gesicht ausdrückte, belehrte ihn jedoch, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen habe, weshalb er, um sein Vergehen wieder gut zu machen, in wohlmeinender Absicht beifügte:
»Könnte nicht vorderhand der Teetopf Abhilfe leisten?«