1. Kapitel
»Halt! Hier! Hier ist es.« June seufzte. »Ach, Mist! Zu spät. Hier hätten wir reingemusst.«
»Da rein?«, fragte Ashley ungläubig, nahm aber den Fuß vom Gaspedal. »Bist du sicher? Das war doch ein Feldweg.«
»Doch, natürlich. Vertrau mir«, versicherte June. »Ich kenne mich hier aus. Schließlich habe ich hier einige Jahre gelebt.«
»Na, wenn du meinst … Verflixt, wo kann man denn hier wenden?«
»Wenn du noch ein Stück fährst, kommt die Zufahrt zum Campingplatz, da geht es.« June musste lachen. »Ich sagte doch, dass die Gegend etwas ländlicher ist.«
»Etwas ländlicher ist gut. Für ein Stadtgewächs wie mich ist das hier die reinste Wildnis.« Ashley kicherte. »Und du hast hier gelebt? Ich dachte, du wärst in London aufgewachsen.«
»Bin ich auch, aber während der Schulzeit habe ich eine Weile hier gewohnt«, erwiderte June. »Meine Großeltern mütterlicherseits stammen von hier. Ich habe fast immer die Ferien bei ihnen und Tante Sheila verbracht und bin einige Jahre hier zur Schule gegangen. Da! Da vorne kannst du wenden. Ich kann gar nicht genug betonen, wie dankbar ich dir bin, dass du dir so spontan Zeit genommen hast, mich herzufahren.«
»Aber na klar. Dafür sind Kolleginnen doch da, nicht?« Ashley lächelte etwas verlegen. »Ich hatte ohnehin noch Überstunden abzubauen und bin ehrlich gesagt ziemlich urlaubsreif nach dem Tamtam wegen des Bainbridge-Manuskripts. Da ist so eine Landpartie doch gar nicht schlecht.«
»Tja, mal wieder typisch für mich, dass mein Wagen ausgerechnet jetzt den Geist aufgibt, oder nicht? Ich fürchte, es wird sich nicht rentieren, ihn noch zu retten. Erinnere mich daran, dass ich später bei der Werkstatt anrufe.«
»Mache ich.« Ashley bremste und fuhr auf die schmale, holprige Auffahrt, die zu einem Gehöft führte. »Huch! Das soll der Campingplatz sein?«
»Na ja, so etwas Ähnliches. Das ist dieYew Tree Farm. Die Ruckleys verdienen sich während der Saison etwas dazu, indem sie auf ihrem Land Zeltplätze und Stellplätze für Wohnwagen und Wohnmobile vermieten.«
»Aha.« Ashley zog eine Augenbraue hoch und grinste. »Ich verkneife mir weitere Kommentare.«
Sie wendete und bog an der Einmündung dieses Mal in die schmale Straße ein, die zwischen Wiesen und Feldern hindurch am Ufer des Milley entlang bis nach Lower Foxdale führte. Zu ihrer Rechten erstreckten sich grüne Wiesen und von Hecken gesäumte Obstgärten.
Auf der gegenüberliegenden Seite am Flussufer kauerten schläfrig einige schiefergedeckte Häuschen aus grauem Stein inmitten üppig blühender Vorgärten oder lugten beinahe schüchtern hinter verwitterten, mit Efeu, Rosen und Schlingknöterich berankten Mauern hervor.
»Das ist übrigens der örtliche Pub.The Trout«, erklärte June. »Auf der Terrasse hinter dem Haus sitzt man sehr nett, direkt am Flussufer. Da können wir später einen Happen essen, was meinst du?«
»Essen klingt fantastisch.« Ashley lächelte. »Außerdem freue ich mich auf ein Pint Cider. Ich muss schließlich prüfen, ob das Zeug seinem Ruf gerecht wird.«
»Aber sicher! Der Cider hier ist … Achtung!!«, rief June.
Ashley quiekte schrill und trat auf die Bremse.
Eine Gans war aus dem Gebüsch auf der rechten Seite auf die Fahrbahn geflattert, watschelte aufgeregt und flügelschlagend vor ihnen über die Straße und verschwand zwischen dichten Hecken in Richtung Uferböschung.
Ashley atmete hörbar aus, dann wandte sie sich mit einem breiten Grinsen an June. »Etwas ländlicher. Schon klar.«
»Ab hier musst du ohnehin langsamer fahren, wir sind gleich da. Dort vorne links ist es. Die Einfahrt hinter der Trauerweide.«
»O mein Gott, ist das hübsch!«, rief Ashley, als die beiden ausstiegen und sie an der efeuberankten Fassade hinaufblickte. »Dafür wirst du im Handumdrehen einen Käufer finden.«
»Oder eine Käuferin.« June lächelte. Als Kind war ihr das