: Edmund Jacoby
: Weltsprache Europäisch Eine Kulturgeschichte unserer Wörter
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958904828
: 1
: CHF 30,40
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: Sprache: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auch wenn wir in der Schule etwas anderes gelernt haben: Alle regionalen Dialekte quer durch Europa sind auf die eine oder andere Weise miteinander verwandt, teils der sprachlichen Form nach, fast immer aber nach den hinter den einzelnen Wörtern stehenden Vorstellungen und Begriffen. In diesen Vorstellungen und Begriffen ist die gemeinsame Kulturgeschichte Europas geronnen, die nie im Rahmen der modernen Staatsgrenzen abgelaufen ist, sondern immer ein kultureller Austausch zwischen den verschiedenen Teilen des Kontinents war und am Ende auch ein Austausch zwischen Kontinenten, auf denen Europäisch gesprochen wurde. Europäisch, mit seinen Weltsprachen-Dialekten wie Englisch, Spanisch, Französisch, Russisch und Portugiesisch und seinen auch historisch bedeutsamen Regionalsprachen wie Deutsch, Italienisch, Polnisch oder Niederländisch, ist zusammengenommen die mit Abstand wichtigste Weltsprache, und keine andere Sprache und Kulturtradition hat die Welt mehr geprägt, im Guten wie im Schlechten, als die europäische. Die Schriftgestalt der europäischen Wörter hat deren gemeinsame Geschichte zu einem großen Teil festgehalten und ist eine kulturgeschichtliche Quelle erster Güte. Den Wanderungen und Wandlungen der Wörter anhand solcher Indizien nachzugehen, führt immer wieder zu erstaunlichen und zuweilen auch erheiternden Erkenntnissen. Es wäre schön, wenn die Europäer ihre Aufspaltung in Sprachnationen hinter sich lassen könnten und zusammen mit den Europäischsprachigen in aller Welt und letztlich allen Menschen die Werte verteidigten, die das Beste der europäischen Kulturtradition sind: Menschlichkeit, alias Humanität, 'gumannost'', 'umanita', 'humanite'; Freiheit, 'freedom'; Liberalität, 'liberty', 'libertade' oder 'wolnosc', die Freiheit des Wollens; und eine Gerechtigkeit, eine Justiz, 'justice', oder 'pravo', ein Recht also, das auf Treue, 'truth', zur 'pravda', der Wahrheit, 'verdad', 'verité' beruht.

Edmund Jacoby, geboren 1948, studierte Philosophie, Geschichte und politische Wissenschaften in Tübingen, Paris und Frankfurt am Main, unter anderem bei Ernst Bloch und Jacques LeGoff. Er promovierte 1983 bei Alfred Schmidt und lring Fetscher mit der sozialphilosophischen Arbeit 'Wissen und Reichtum. Zum Verhältnis universaler und partikularer Vergesellschaftung'. Neben Lehraufträgen an der Goethe-Universität in Frankfurt arbeitete er als Übersetzer wissenschaftlicher und literarischer Texte und veröffentlichte Arbeiten über Schiller und Goethe sowie Charles Dickens. Ende 1983 wurde Edmund Jacoby Lektor bei der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt, 1995 übernahm er die Leitung des Gerstenberg Verlags in Hildesheim. 2008 gründete er zusammen mit seiner Frau Nicola Stuart in Berlin das Verlagshaus Jacoby& Stuart.

EINLEITUNG


Der größte Teil der Menschheit spricht Europäisch, zumindest als Verkehrssprache. Die internationale Sprache der Wissenschaft ist weitgehend Europäisch, gewissermaßen sogar Alteuropäisch, denn ihre Wörter sind altgriechische und lateinische oder solche, die nach den in diesen Sprachen üblichen Wortbildungsverfahren neu erfunden worden sind. Und europäisch sind die Weltsprachen Englisch, Spanisch, Französisch, Russisch und Portugiesisch. Aber auch die großen Regionalsprachen wie Deutsch oder Italienisch haben in der Geschichte der Weltkultur eine große Rolle gespielt und tun es immer noch. Und dann sind da noch die vielen kleineren Sprachen Europas, die alle ihren Beitrag zur Kultur Europas und damit der Welt geleistet haben.

Aber was heißt Europäisch? Gibt es so eine Sprache? Ja, es gibt die Sprache Europäisch. Jedenfalls erscheinen die Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen, aus einiger Distanz betrachtet, lediglich als Dialekte einer einzigen Sprache, oft nicht unterschiedlicher als etwa Mandarin und Kantonesisch in China, der anderen großen Sprachregion des Globus. Es sind nicht die sich oft in kurzer Zeit wandelnden Laute der Wörter, die das Gemeinsame einer Sprache ausmachen, sondern die Gemeinsamkeiten derBegriffe oderKonzepte, die dahinterstehen und die auf eine gemeinsame Kulturgeschichte zurückgehen.

Europäisch ist natürlich etwas anderes als die Nationalsprachen, die an den Schulen der einzelnen »Länder« – künstlich begrenzten Herrschaftsgebieten – gelehrt werden, damit die Kinder auf dem jeweiligen Territorium dieselbe Sprache lernen. Europäisch ist vielmehr die variantenreiche Sprache einer großen Kulturgemeinschaft, deren Sprecher sich nicht alle auf Anhieb mündlich verständlich machen können, aber mit etwas Anstrengung schnell merken werden, dass ihre Gesprächspartner meist dieselben Vorstellungen von der Welt haben wie sie selbst. Europäisch ist die Sprache einer Kulturgemeinschaft. Deren Sprachen, auch die mit unterschiedlichen Wurzeln, ließen sich bei entsprechendem politischen Willen ohne Weiteres zu einer Einheitssprache zusammenfassen, so wie es mit dem Englischen, dieser Mischsprache aus germanischem Angelsächsisch und romanischem Französisch, und zuvor schon mit dem Französischen als Mischsprache von Vulgärlatein und Fränkisch und in geringerem Maß auch mit den anderen Sprachen geschehen ist. Aber vielleicht ist das im Zeitalter automatisierter Übersetzungsprogramme auf den Smartphones, die die europäischen Dialekte aka Nationalsprachen schnell in jede andere verwandeln, gar nicht mehr nötig.

Die Gemeinsamkeit der europäischen Sprachen – oder Dialekte – ist natürlich ihrer gemeinsamen Geschichte zu verdanken, denn Sprachen sind Ausdruck der geschichtlichen Erfahrung von Menschengruppen. Die gemeinsame Geschichte der europäischen Sprachen besteht zunächst darin, dass die meisten von ihnen vor Jahrtausenden von nomadischen Migranten aus den Steppen Mittelasiens mitgebracht worden sind, die mehr oder weniger benachbart gelebt hatten und mehr oder weniger ähnliche Dialekte sprachen. Von diesen Sprachen – oder Dialekten – stammen fast alle europäischen Sprachen ab, außer denen europäischer Ureinwohner wie der Basken oder späterer Einwanderer aus Asien wie der Finnen und Ungarn. Aber auch diese, di