: Diego Viga
: Erich Hackl
: Die Unpolitischen
: Edition Atelier
: 9783990650875
: 1
: CHF 23.50
:
: Erzählende Literatur
: German
: 696
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der junge Arzt Johannes Kramer arbeitet Anfang der 1930er-Jahre wie viele seiner Freunde und Bekannten an einer akademischen Karriere. Er betreibt medizinische Forschungen an der Universität Wien, bemüht sich um die Liebe seiner Jugendfreundin Anna und erkennt früh, dass Europa vor dem Abgrund steht. Aber der Ernst der Lage wird ihm erst bewusst, als sich in Österreich der Austrofaschismus mit Gewalt durchsetzt und Johannes im Krankenhaus schwer verletzte Februarkämpfer versorgt. Und mit der Annexion Österreichs 1938 geht es fu?r Johannes, seine Bekannten und ihre Familien um Leben und Tod. Das Exil in Südamerika scheint der einzig mögliche Weg - aber wird es ihnen gelingen, sich in der Neuen Welt zurechtzufinden und die alten Vorurteile und Illusionen zu überwinden? Ausgehend von seiner eigenen Geschichte schildert Diego Viga das bewegende Leben einer ganzen Generation junger Männer und Frauen aus dem jüdischen Bürgertum, die ums Überleben und Weiterleben kämpfen.

ÜBER DEN AUTOR Diego Viga, 1907 als Paul Engel in Wien geboren, 1997 in Quito/Ecuador gestorben. 1933 Promotion zum Doktor der Medizin, 1935 ging er für ein halbes Jahr nach Montevideo/Uruguay. 1938 emigrierte er mit seiner Familie nach Bogotá/Kolumbien und arbeitete an der dortigen Universidad Libre als Professor für Endokrinologie und unternahm für ein amerikanisches Pharma­Unternehmen Geschäftsreisen durch Süd- und Mittelamerika. 1950 folgte der Umzug nach Quito, wo er eine Professur für Biologie und allgemeine Pathologie erhielt. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen und Sachbücher zu medizinischen und literarhistorischen Themen. »Die Unpolitischen« erschien erstmals 1969 unter dem Titel »Die Parallelen schneiden sich«. ÜBER DEN HERAUSGEBER Erich Hackl, geboren 1954 in Steyr, lebt als freier Schriftsteller in Wien und Madrid und wurde unter anderem 2020 mit dem Theodor-Kramer-Preis ausgezeichnet.

3. JOHANNES


Emil Seyers Stimme knarrt unfreundlich, seine Worte sind auch nicht liebenswürdig. Dabei habe ich ihn doch schon gezähmt. Weil er länger in diesem Laboratorium Professor von Gablenz’ Mitarbeiter ist, spielte er sich wirklich unverschämt auf. Nun, ich habe ihn so grob behandelt, daß er beinahe höflich geworden ist. Jetzt wirft er mir voll Empörung vor, daß ich eigene Gedanken habe und eigene Themen bearbeiten möchte. Der Emil wird immer ein braver und treuer Diener seines Herrn bleiben. Er bewundert, er identifiziert sich mit dem Mächtigen. Das ist unser brummig gütiger Ferdinand. Ferdinand der Gütige wird von Gablenz von seinen Mitarbeitern genannt. Ich erinnere mich, daß man den Vorgänger Franz Josephs Ferdinand den Gütigen nannte, um zu verschleiern, daß er schwachsinnig war. Unser Ferdinand ist keineswegs schwachsinnig, sondern ein großer Mann. Seine Arbeiten, die Arbeiten seiner Jugend haben die Biochemie grundlegend beeinflußt. Jetzt ist er zu meinem Leidwesen der Überzeugung, daß junge Leute keinen eigenen Gedanken fassen dürfen, sondern die Ideen ihrer Chefs in die Praxis des Laboratoriums umzusetzen haben.

»Du bist doch erst ganz kurze Zeit in diesem Laboratorium«, wirft mir Emil vor. Er ist furchtbar stolz darauf, daß er einige Wochen früher zum Mitarbeiter des Vorstandes der Lehrkanzel, zum persönlichen Adjunkt des weltberühmten Ferdinand von Gablenz aufgerückt ist und einige Eprouvetten mehr zerbrochen und etliche Kaninchen mehr umgebracht hat als ich.

»Du wirst schon sehen, was er anfaßt, ist wichtig. Erfahrung …«

»Zur Zeit seiner grundlegenden Arbeit war er ein junger Dozent von siebenundzwanzig Jahren.« Mit siebenundzwanzig Jahren! Werde ich jemals Dozent werden?