: Irene Bopp-Kistler, Klaus Bally, Brigitte Rüegger-Frey, Manuel Trachsel, Daniel Hürlimann, Rainer Di
: Irene Bopp-Kistler
: Demenz. Fakten Geschichten Perspektiven
: Rüffer& Rub Sachbuchverlag
: 9783907351130
: 3
: CHF 25.30
:
: Medizin
: German
: 448
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ärztin: Wie geht es Ihnen? Patient: Ich bin im Durcheinandertal. Ärztin: Wie poetisch Sie das ausdrücken. Patient: Wissen Sie, was ich anspreche? Ärztin: Sie meinen den Roman »Durcheinandertal« von Friedrich Dürrenmatt. Patient: Schön, dass Sie den kennen. Sie sehen, ich bin weder dürr noch matt. Die Volkskrankheit Demenz verunsichert zutiefst. Die regelmäßigen Meldungen von neuen, endlich wirksamen Medikamenten wecken Hoffnungen auf den medizinischen Durchbruch - doch nach wie vor gibt es keinen Wirk- stoff, der diese Krankheit heilen kann. Es ist deshalb wichtig, den vielen direkt und indirekt Betroffenen auf fundierter Basis zu zeigen, was tatsächlich hilft. Im vorliegenden Buch »demenz.« nennen namhafte Expert:innen die bisher bekannten Fakten beim Namen und erläutern, was es damit auf sich hat. Betroffene und Angehörige berichten von »ihrer« Demenz und was sie mit ihrem Leben macht. Renommierte Autor:innen vermitteln Perspektiven auf sozial-politischer, medizinischer, vor allem aber auf menschlicher und spiritueller Ebene und zeigen auf, wie den Betroffenen respektvoll begegnet werden kann. »Das Standardwerk zu Demenz: 3. aktualisierte Auflage«

Irene Bopp-Kistler, Dr. med., Internistin mit Schwerpunkt Geriatrie, hat die Altersmedizin am Stadtspital wesentlich mitgeprägt und aufgebaut und 1997 die Memory Clinic zusammen mit Brigitte Rüegger-Frey gegründet. Für sie standen neben der Abklärung und Behandlung immer die Betroffenen und Angehörigen im Mittelpunkt. Irene Bopp-Kistler war während vieler Jahre Lehrbeauftragte der Universität Zürich. Sie war Gründungsmitglied der Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG) und langjähriges Vorstandsmitglied. Sie brachte ihr Wissen in zahlreichen Gremien ein, so auch in der nationalen und kantonalen Demenzstrategie und in diversen Vorständen. Ein Herzensanliegen ist ihr die Enttabuisierung der Demenzerkrankung. 2020 wurde sie von Alzheimer Zürich mit dem Fokuspreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Seit der Pensionierung Ende 2021 arbeitet sie in einer Praxis in Zürich, wo sie sich weiterhin für die Anliegen der Demenzerkrankten einsetzt; zudem ist sie in diversen Projekten insbesondere für Jungbetroffene, aber auch für die bessere Grundversorgung engagiert.

Klaus Bally

Wenn der Hausarzt gefordert ist


Meine Patient:innen fürchten nach dem Überschreiten der Lebensmitte keine Krankheit mehr als die Demenz. Demenzerkrankungen sind in unserer Gesellschaft nach wie vor mit einem Stigma behaftet. Nicht nur die betroffenen Menschen, auch ihre Angehörigen und sogar die behandelnden Ärztinnen und Ärzte empfinden ein Schamgefühl, wenn sie bei einem/r Patient:in zunehmende kognitive Einbußen feststellen.

Den meisten Patient:innen wie auch ihren Angehörigen fällt es keineswegs leicht, mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt über Gedächtnis- und Orientierungsstörungen oder gar über Fehlleistungen im Beruf oder Verkehr zu sprechen. Oft haben sie sich Wochen oder gar Monate Gedanken gemacht, ob und wann sie dieses Problem ihrer Ärztin oder ihrem Arzt mitteilen sollen. Hierfür verantwortlich sind einerseits die beschriebenen Schamgefühle, aber auch die Angst, dass die Ärztin oder der Arzt die Diagnose einer schwerwiegenden, möglicherweise nicht behandelbaren Krankheit stellen könnte. Viele Menschen ängstigen sich vor dem Verlust ihrer Selbständigkeit, dass sie mittelfristig auf Pflege und Betreuung angewiesen sein und somit anderen Menschen zur Last fallen könnten.

Es ist meine hausärztliche Aufgabe, die Fragen der Betroffenen selbst sowie der Angehörigen ernst zu nehmen. Wenn ich Betroffenen beschwichtigend mitteile: »Wissen Sie – auch ich vergesse manchmal einen Namen«, ist ihnen und ihren Angehörigen nicht gedient. Viel zu groß ist in der Regel die Not, die sie zu mir geführt hat. Eine derartige vermeintliche Beruhigung trägt nicht dazu bei, dass sich ein Mensch, der bei sich ein allmähliches Entschwinden seines Erinnerungsvermögens wahrnimmt, von seiner Ärztin oder seinem Arzt verstanden und ernst genommen fühlt.

Im Rahmen der diagnostischen Abklärungen ist es entscheidend, das Vertrauensverhältnis mit dem/r Patient:in aufrechtzuerhalten, um ihn/sie sowie seine/ihre Angehörigen oftmals über viele Jahre auch in seiner Erkrankung weiterhin ärztlich und menschlich begleiten zu können. Einerseits sollte eine mögliche Demenzdiagnose zeitgerecht gestellt werden, auf der anderen Seite möchte ich meine Patient:innen nicht verunsichern. Gerade zu Beginn einer möglichen Demenzerkrankung besteht oftmals nicht nur bei den Betroffenen und ihren Angehörigen, sondern auch bei Ärztinnen und Ärzten eine Ungewissheit, ob nun tatsächlich eine ernste Erkrankung vorliegt.

In dieser Phase werde ich mir schon einige ganz zentrale Fragen stellen: Wie viel an Information und Aufklärung kann mein/e Patient:in zum jetzigen Zeitpunkt verstehen und ertragen? Welche Konsequenzen hat die Diagnose einer Demenzerkrankung für ihn/sie und seine/ihre Angehörigen? Ist es denkbar, dass die Gewissheit über das Vorliegen einer Demenzerkrankung zu einer Beruhigung für den/die Patient:in und sein/ihr Umfeld führen könnte? Oder