: Frances Burney
: Mascha Hansen
: Evelina Roman
: Reclam Verlag
: 9783159620558
: 1
: CHF 17.50
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 553
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein fulminanter Briefroman über Klassenunterschiede und die Schwierigkeiten, sich als Frau zu behaupten: Die 17-jährige Evelina ist im Haushalt eines englischen Landpfarrers aufgewachsen. Ihr adliger Vater weigert sich, sie anzuerkennen, und ihre verstorbene Mutter stammte aus einfachen Verhältnissen. Als die hübsche, aber naive Evelina von einer befreundeten Familie in die feine Gesellschaft Londons eingeführt wird, machen sich aufdringliche Verehrer ihren unklaren sozialen Status schnell zunutze. Und dann taucht auch noch Evelinas dreiste Großmutter aus Paris auf, die die junge Frau zwingen will, sich ihr Erbe einzuklagen. Was soll nur der gutaussehende, sympathische Lord Orville von ihr denken? Burney zeichnet ein humorvolles Gesellschaftsporträt und fängt die galante Welt der Bälle und Vergnügungsparks des 18. Jahrhunderts lebhaft ein. Mit spitzer Feder entlarvt sie Klischees, Vorurteile und Borniertheit aller sozialen Schichten - ein echtes Lesevergnügen! »Mit viel Humor erkundet Burney das Leben der englischen Aristokratie, ihren gesellschaftlichen Dünkel und ihre geheimen Schwächen - immer mit einem kritischen Blick auf die unterlegene Stellung der Frau.« DEUTSCHLANDFUNK

Frances Burney (1752-1840) war Hofdame der englischen Königin Charlotte und wurde mit ihren Romanen Evelina (1778), Cecilia (1782), Camilla (1785) und The Wanderer (1814) zur berühmtesten Schriftstellerin ihrer Epoche. Sie gilt als Pionierin des Gesellschaftsromans - nicht nur beschreibt sie so farbenprächtig wie detailgetreu die galante Welt der Bälle und Vergnügungsparks des 18. Jahrhunderts, sie hat mit ihrer Evelina auch die erste lebensechte, charmant unvollkommene Romanheldin der Literaturgeschichte geschaffen. Zudem verfasste Burney Theaterstücke sowie ein umfangreiches Tagebuch. Rebecca Bächli lebt in der Schweiz und widmet sich beruflich mit großer Leidenschaft dem Thema Sprache, Literatur und Schreiben. Mascha Hansen ist Anglistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Greifswald.

TeilII


Erster Brief


Evelina an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove, Kent, 10. Mai

Unser Haus ist heute durch das Eintreffen eines Londoner Besuchers belebt worden, und die Notwendigkeit, meine Unruhe zu verbergen, hat mich so wirksam dazu gezwungen, dass ich sogar glaube, sie ist wirklich verschwunden, oder wenigstens sind meine Gedanken nicht so vollkommen, so angsterfüllt nur mit einem Thema beschäftigt, wie sie es zuvor noch waren.

Heute Morgen ging ich gerade mit Miss Mirvan auf einer Straße spazieren, ungefähr eine Meile von Howard Grove entfernt, als wir Pferdegetrappel hörten; und da wir die Enge der Straße fürchteten, gingen wir hastig zurück, hielten aber an, als wir eine Stimme rufen hörten: »Bitte, meine Damen, fürchten Sie sich nicht, denn ich werde absteigen und mein Pferd am Zügel führen.« Wir wandten uns wieder um und sahen Sir Clement Willoughby. Er stieg ab, und dann, während er uns mit den Zügeln in der Hand entgegenkam, erkannte er uns.

»Gütiger Himmel!«, rief er mit seiner üblichen Lebhaftigkeit. »Sehe ich Miss Anville? – Und Sie auch, Miss Mirvan?«

Sofort wies er seinen Diener an, sich um das Pferd zu kümmern, und als er nahe genug an uns herangekommen war, nahm er jeweils eine unserer Hände, drückte sie an seine Lippen und sagte tausend schöne Dinge über sein großes Glück, unser noch weiter verbessertes Aussehen und den Reiz der ländlichen Gegend, wenn sie vonsolchen Göttinnen bewohnt werde.

»Die Stadt, meine Damen, hat seit Ihrer Abreise ihren Charme verloren, oder wenigstens bin ich so gleichgültig geworden, dass ich vollkommen blind bin für alles, was sie zu bieten hat. Eine erfrischende Brise, wie ich mich ihrer gerade jetzt erfreue, erweckt mich zu neuer Kraft, neuem Leben und neuem Mut. Aber bisher hatte ich niemals das Glück, das Land in dieser Vollkommenheit zu sehen.«

»Hat nicht nahezu jeder die Stadt verlassen, Sir?«, fragte Miss Mirvan.

»Ich schäme mich, Ihnen darauf zu antworten, meine Damen, aber tatsächlich ist es so voll wie immer und wird so voll bleiben bis nach dem Geburtstag55. Allerdings sind Sie beide so selten in der Gesellschaft gewesen, dass es nur wenige gibt, die wissen, was die Stadt verloren hat. Was mich selbst betrifft, habe ich es zu tief gespürt, um in der Lage zu sein, jenen Ort noch länger zu ertragen.«

»Ist irgendjemand dort geblieben, mit dem wir bekannt sind?«, fragte ich.

»Oh ja, Madam!« Dann nannte er zwei oder drei Personen, die wir gesehen hatten, als wir mit ihm zusammen gewesen waren, aber Lord Orville erwähnte er nicht, und ich fragte ihn nicht, da ich fürchtete, er könne mich für neugierig halten. Vielleicht wird er, falls er einige Zeit hier bleibt, zufällig von ihm sprechen.

Er fuhr in diesem schmeichelhaften Stil fort, als wir dem Kapitän begegneten, der, kaum hatte er Sir Clement bemerkt, auf ihn zueilte, ihm einen kräftigen Handschlag, einen ordentlichen Klaps auf den Rücken und noch ein paar ähnlich sachte Zeichen seiner Zufriedenheit gab, ihn s