Die mannstolle Mumie
Schon als Kind begeisterte ich mich für Kunst und Kultur und wusste, dass ich später in dieser Richtung tätig sein wollte. Mit dem Eintritt der Pubertät verengte sich mein Fokus, wenn man es so formulieren will, auf den Bereich, der sich vor allem der Darstellung von Männlichkeit widmete. Am Ende der Adoleszenz landete ich schließlich bei der eindeutig schwulen Kunst. Da war es klar, dass ich nach dem Abitur unbedingt im Institut für homoerotische Kultur- und Literaturwissenschaft studieren wollte, und bereits nach dem ersten Semester fasste ich den Entschluss, an dieser Einrichtung eine wissenschaftliche Karriere anzustreben.
Mittlerweile kennen mich alle als Dr. Christopher Harness, Leiter einer eigenen Abteilung. Der Weg zu diesem Posten war lang und nicht immer leicht gewesen und zwischendurch gab es öfter Zweifel, ob ich den Anforderungen tatsächlich gewachsen war. Ich erinnere mich an eine Episode, als ich noch als wissenschaftliche Hilfskraft – Hiwi genannt – dem Professor Cocker assistierte. Nicht, dass er mir das Leben besonders schwer gemacht hätte oder die Aufgaben, die mir zufielen, unpassend gewesen wären. Es ging alles seinen Gang, bis auf eine einzige Nacht, in der ich glaubte, all die Beschäftigungen mit homoerotischer Kunstgeschichte hätten mir den Verstand geraubt. Aber lassen Sie mich die Ereignisse der Reihe nach schildern.
Es begann an einem Freitagabend. Nachdem ich in der Institutsbibliothek unzählige Kopien angefertigt und für ein Seminar von Professor Cocker geordnet hatte, brachte ich sie in sein Büro, holte dabei noch die Abendpost rein, sortierte sie und schloss schließlich die Räumlichkeiten hinter mir ab. Es war schon dunkel, niemand war mehr im Haus und selbst die Reinigungskräfte hatten ihre Pflichten längst erledigt. Ungewohnt still war es auf dem Gelände, wenn man von einigen Vogelstimmen absieht, die von den Zweigen der Ulmen drangen. Ich erinnere mich noch, dass ich nie zuvor bewusst wahrgenommen hatte, wie nachtaktiv manche gefiederten Freunde sind!
Ich schlenderte zum Wohnheim, wo ich in einem kleinen Zimmer meine Unterkunft hatte, und ließ mich bereits auf dem Weg dorthin von dem Vogelgesang in einen sanften Halbschlaf wiegen. In meinem Bett angekommen, fiel ich sogleich auf die Matratze und schlummerte ein – ohne Zähneputzen, Umziehen oder Abduschen. Ja, ich war an dem Abend ziemlich müde und erschöpft.
Man kann sich vorstellen, wie verärgert ich demzufolge war, als nur eine halbe Stunde später mein Telefon klingelte. Zuerst wollte ich es läuten lassen, aber nachdem auch nach dem achten Signalton keine Ruhe einkehrte, sah ich ein, dass der beharrliche Anrufer nicht aufgeben wollte. Ich nahm ab und stellte nicht ohne Grollen fest, dass Professor Cocker am anderen Ende der Leitung war.
›Was will der denn so spät noch von mir?‹, fragte ich mich im Stillen.
»Mein lieber Chris«, grüßte er mich fröhlich, »ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt? Ich habe eben einen Anruf aus der Uniklinik erhalten. Die Medizintechnik checkt dort gerade eine Sendung aus Ägypten, die im Stadtmuseum ausgestellt werden soll.«
»Aha«, erwiderte ich desinteressiert, denn weder die