: Jeffrey Veidlinger
: Mitten im zivilisierten Europa Die Pogrome von 1918 bis 1921 und die Vorgeschichte des Holocaust
: Verlag C.H.Beck
: 9783406791611
: 1
: CHF 24.00
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 460
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwischen 1918 und 1921 werden in der Ukraine über 100 000 Juden von Bauern, Städtern und Soldaten ermordet, die sie für die Russische Revolution und deren Folgen verantwortlich machen. Ganz normale Bürgerinnen und Bürger berauben plötzlich ihre jüdischen Nachbarn, brennen ihre Häuser nieder, zerreißen ihre Tora-Rollen, missbrauchen sie sexuell und töten sie. Der Holocaust-Historiker Jeffrey Veidlinger hat diese Welle genozidaler Gewalt rekonstruiert, bei der ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen alle zu demselben Ergebnis kamen - dass die Ermordung von Juden eine akzeptable Antwort auf ihre Probleme sei. Als die Gewalt in die Kleinstadt Slovetschno kam, ist Rosa Zaks erst sieben Jahre alt. Doch sie wird ihr Leben lang nicht vergessen können, wie sie und ihre Geschwister mitten in der Nacht von der Mutter geweckt und auf den Dachboden des Nachbarhauses gebracht wurden. Aus ihrem Versteck müssen die Kinder mit ansehen, wie ein Pogrom gegen die jüdischen Bewohner des Ortes entfesselt wird... Anhand von lange vernachlässigtem Archivmaterial, darunter Tausende neu entdeckte Zeugenaussagen, Prozessakten und offizielle Anordnungen, zeigt der renommierte Historiker Jeffrey Veidlinger, warum die Pogrome in Osteuropa eine Art Vorgeschichte des Holocaust bilden. Das überaus differenzierte Bild dieser heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Ereignisse, das durch die Geschichten von Überlebenden, Tätern, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und Regierungsvertretern entsteht, verdeutlicht, warum die Juden 'mitten im zivilisierten Europa' in akuter Gefahr waren, vernichtet zu werden - und ganz Europa davon wusste.

Jeffrey Veidlinger ist Professor für Geschichte und Judaistik an der University of Michigan und forscht über Neuere jüdische Geschichte, Russland und Osteuropa, Oral History sowie zum Holocaust. Seine Bücher, darunter"The Moscow State Yiddish Theatre" und"In the Shadow of the Shtetl", wurden mit dem"National Jewish Book Award", dem"Barnard Hewitt Award for Theatre Scholarship", zwei"Canadian Jewish Book Awards" sowie dem"J. I. Segal Award" ausgezeichnet. Er lebt in Ann Arbor, Michigan.

Einleitung:
«Wird ein Massaker an den Juden der nächste europäische Schrecken sein?»


In den Jahren nach dem Holocaust begannen Überlebende auf der ganzen Welt, Gedenkbücher für jede Stadt zusammenzustellen. Diese literarischen Monumente für zerstörte Gemeinden bewahrten lokale Geschichten auf und dokumentierten die Namen der Opfer, um die Erinnerungen lebendig zu halten. Als Historiker des osteuropäischen Judentums weiß ich seit langem zu schätzen, wie diese Gedenkbücher einen Einblick in das Alltagsleben eröffnen. Die Autoren der Beiträge teilen Anekdoten über die örtlichen Schulen, das Feuerwehrorchester, den Fußballklub oder die zionistische Jugendgruppe mit. Sie zeichnen Porträts örtlicher Prominenter, deren Berühmtheit nur bis zum Rand der Weizenfelder reichte, die die Stadt umgaben: ein Lieblingslehrer, ein geachteter Rabbi, der Stadtverordnete, der Wasserträger, den jeder kannte. Sie dokumentieren kleine und große Ereignisse: den Tag, als ein Soldat aus dem russisch-japanischen Krieg heimkehrte, das Gastspiel einer reisenden Theatertruppe aus Odessa, das Feuer, das Yankel Friedmans Gasthaus zerstörte, den Tag, als die Nazis kamen.

Doch solche Gedenkbücher sind nicht nur Geschichten der Vorkriegszeit; sie sind auch Vorgeschichten des Krieges. Nehmen wir zum Beispiel das Gedenkbuch der Stadt Proskuriv (heute Chmelnyzkyj), die heute in der Ukraine liegt. Sein TitelChurbn Proskurov bewahrt das Unglück, das die Stadt traf. Das jiddische Wortchurbn (Zerstörung) ist vom hebräischenhurban abgeleitet, das die Zerstörung der beiden biblischen Tempel im 6. Jahrhundert v. Chr. und im 1. Jahrhundert n. Chr. – die Urkatastrophen des jüdischen Volkes – bezeichnet und seitdem für verschiedene andere Katastrophen gebraucht worden ist, von Erdbeben bis zum Untergang derTitanic. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es weithin auf das Schicksal der europäischen Juden unter dem Nationalsozialismus bezogen.

Wie so viele Gedenkbücher beginnt das