I
Der Vorhang begann sich zu schließen. Langsam glitten die beiden Hälften von rechts und links aufeinander zu, aus Lautsprechern im Hintergrund erklangGreensleeves, der helle Raum in der Mitte der Bühne, zwischen den Vorhanghälften, wurde immer schmaler. Ein paar Leute in der ersten Reihe erhoben sich, auch ich, in der vorletzten, stand auf und schaute auf den von vier mehrarmigen Leuchtern angestrahlten Sarg und das darauf abgelegte Gebinde dunkelroter Rosen. Dann war der Vorhang zu, die Musik von hinten lief noch weiter, und von vorne hörte ich unterdrücktes Schluchzen. Und einen Augenblick lang dachte ich, nun müsse sich der Vorhang teilen, Udo Stutz müsse heraustreten und sich verbeugen. Aber dazu war Udo nicht mehr imstande, er lag im Sarg und würde sich in Kürze bei knapp tausend Grad Celsius in Asche verwandeln.
Nur dreiundfünfzig Jahre war er alt gewesen, der Privatdektektiv Udo Stutz, als er mit dem Motorrad aus der Kurve geflogen und dann von einem kräftigen Ahorn gestoppt worden war. Höchstens sechzig Stundenkilometer sei er gefahren, hatte mir die Witwe erzählt, als ich ihr vorhin, vor Beginn der Zeremonie, kondolierte, und er sei ein guter Fahrer gewesen. Keiner von diesen Geschwindigkeitsfreaks, die Kopf und Kragen riskierten, und er habe die Strecke gut gekannt.
»Er ist oft da raus gefahren«, sagte sie. »Es hat ihn entspannt. Aber ich habe trotzdem immer Angst gehabt.« Die unterdrückten Tränen erstickten ihre Stimme, sie konnte nicht weitersprechen, ihr Sohn, den ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sah, legte den Arm um ihre Schultern und zog sie weg. Er mochte um die Zwanzig sein und sah seinem Vater sehr ähnlich. Ich war ihm dankbar, was soll man bei solchen Anlässen schon sagen.
Die Familie, die Verwandten, die Freunde und die Bekannten hatten dann die vorderen Reihen im Krematorium des Münchner Ostfriedhofs okkupiert, sie füllten den kalten, mit pseudogriechischen Säulen ausgestatteten Raum gut zur Hälfte. Da ich mich zu keiner dieser Gruppen zählte, hatte ich mich weiter hinten in eine leere Stuhlreihe gesetzt.
Und da sah ich, dass ich nicht der einzige Trauergast war, der sich von den anderen abgesondert hatte. Noch jemand saß da, zwei Reihen vor mir, zwischen unbesetzten Stühlen, ich erkannte zarte hellblonde Locken über einem hochgeklappten Mantelkragen, und als sie den Kopf ein wenig zur Seite drehte, wurde meine Vermutung zur Gewissheit: Es war Christa Berner. Ich hätte sie gerne angesprochen, aber das hier war wohl nicht die richtige Gelegenheit dafür. Noch bevor die Musik verklungen war, stand sie auf und verschwand im Ausgang.
Gleich danach ging auch ich. Grau und windig war’s draußen, ein Wetter, das zum Anlass passte, aber ich war trotzdem froh, der düsteren Stimmung da drinnen entkommen zu sein. Es bleibt ja niemandem erspart, hin und wieder einen anderen Menschen auf seinem letzten Weg zu begle