: Simone Schönett
: Sobald ich »ich« sage, ist mir nicht mehr zu trauen
: Edition Atelier
: 9783990650868
: 1
: CHF 15.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 168
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die jenische Schriftstellerin Jana denkt über ihren wenig erfolgreichen politischen Aktivismus nach und über die (Un-)Sichtbarkeit der Jenischen. Eine anstrengende Freundin taucht plötzlich und zu den unpassendsten Gelegenheiten auf - und unpassend ist es für Eva eigentlich immer. Die geltungssüchtige Mutter Thea, die den theatralischen Auftritt liebt, sabotiert gekonnt das weihnachtliche Familienfest. Alwine flüchtet vor ihrer missratenen Tochter, die mit Fußfessel ihr Haus okkupiert hat, und quartiert sich trotz der winterlichen Kälte im Wohnwagen am Fluss ein. Simone Schönett blickt in ihren zehn Erzählungen in die feinen Zwischenräume der menschlichen Abgründe. Souverän seziert sie festgefahrene Beziehungen, lässt lustvoll Kartenhäuser zusammenfallen und treibt ihre Figuren aus der Komfortzone.

Simone Schönett, 1972 in Villach in eine jenische Familie geboren, studierte Romanistik, Pädagogik und Medienkommunikation. Seit 2001 arbeitet sie als freie Schriftstellerin. Auszeichnungen und Preise (Auswahl): Kulturpreis der Stadt Villach, Österreichisches Staatsstipendium für Literatur. Mitbegründerin von Wort-Werk und Mitveranstalterin von »Die Nacht der schlechten Texte«. Zuletzt erschien »Das Pi der Piratin« (2020), ausgezeichnet mit der Buchprämie des Bundesministeriums für Kunst und Kultur.

IKONOSTASE


Das Gedeck für die Vorfahren stellte Jana wie immer in der Nacht auf den ersten November hinaus, doch diesmal nur aufs Fensterbrett.

Draußen, im Nebel, würden sich ihre Vorderen an Brot und Fleisch und Zucker und Schnaps und Tabak laben, sich an Speise und Trank zumindest sattsehen, während sie hier drinnen bereits einen Aberglauben nährte. Und damit begann es. Damit hatte es schon immer begonnen. Das Vom-Erzählen-Erzählen. Oder das Eindringen in eine Welt in der Welt, die immer ferner wurde und dennoch nie verschwand, sondern als störendes Element immer dort auftauchte: Wo man selber des Feuers Schmied war; wo ein Glück sich doch leichttingeln-dengeln ließ.

Melodisch wiejingle jangle morning bei Bob Dylan, aber nicht Mr. Tambourine Man, sondern ein Sensenmann, aber nicht der Todbringende, sondern der Sensen-Tingelnde, Sensen-Dengelnde; diesesting, ting, ting, das für Jana so lebendige Geräusch und die dazugehörige Gestalt: Konratio, der als literarische Figur weiterlebte.

Ein einst realer, später verewigter Charakter, der alte Jenische, dessen gestrige Geschichten geblieben waren, ihr präsent, durch sie präsent, lebendig, weil Jana sowohl Bewahrerin als auch Verräterin des zu Erzählenden war. Und wie Konratio eine, deren »Volk« es nicht geben sollte, weil da nie ein Königreich gewesen war, kein eigenes Land, keines, aus dem man oder frau gekommen wäre, keine mythische Ursprungsgeschichte wie jene, dass sie zur Zeit der Arche Noah in Jenesien verweilten, wegen Noahs Bruder Jakob und seiner Spielleute samt ihren Tieren, und dass sie keine blutigen Opfer zollten.

Ich kenne kein Land, das mich wollte. Dieser Song von Harald Schwinger, Jana und den Jenischen gewidmet, hatte es ebenso wenig zu Berühmtheit geschafft wie Konratio in