: Irma Joubert
: Ein Zuhause in Afrika
: Francke-Buch
: 9783963628283
: 1
: CHF 7,90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
London, 1940: Wie viele andere Londoner Kinder wird Charles von seinen Eltern zu Verwandten aufs Land geschickt. Dort ist er vor den feindlichen Bomben sicher. Beim Abschied ahnt er nicht, dass die Zeit bei seiner hochbetagten Tante die glücklichste seines bisherigen Lebens sein wird. Doch was soll aus ihm werden, als die Tante immer gebrechlicher wird? Berlin, 1940: Oswald von Stein ist von der Überlegenheit der Deutschen überzeugt und zieht begeistert in den Krieg an die Ostfront. Bis zuletzt hält er an seiner nationalsozialistischen Gesinnung fest und ist bereit, für Volk und Vaterland Opfer zu bringen. Beide, der inzwischen verwaiste dreizehnjährige Charles und der ehemalige deutsche Major müssen nach dem Krieg wieder ganz von vorn beginnen. Wird es diesen zwei so unterschiedlichen Menschen gelingen, sich im fernen Südafrika eine neue Existenz aufzubauen? Zum Glück gibt es da noch Mentje und die zurückgezogen lebende Miempie. Werden diese beiden einen Zugang zum Herzen von Charles und Oswald finden? Der Leser nimmt die Perspektive eines unschuldigen Kindes und die eines verblendeten Majors ein und schwankt zwischen Mitgefühl und Widerwille, Betroffenheit und blankem Entsetzen. Großartige Erzählkunst.

Irma Joubert ist Historikerin und lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin. Nach ihrer Pensionierung fing sie mit dem Schreiben an. Über ihre Heimat hinaus haben sich ihre Romane auch in den Niederlanden, den USA und in Deutschland zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

1. Kapitel

London 1939

Was Krieg ist, weiß Charles ganz genau. Das ist, wenn irgendwo weit weg Soldaten mit Gewehren und Kanonen aufeinander schießen. Sie schießen sich gegenseitig in Fetzen und anschließend flickt sie seine Mutter wieder zusammen. Deshalb muss sie auch im Krankenhaus wohnen.

Krieg bedeutet, dass alle ihre Fenster mit schwarzem Papier zukleben müssen, damit die Flugzeuge einen nicht sehen können. In der Schule hat Miss Wilson ihnen Bilder von diesen Flugzeugen gezeigt. Charles sucht jeden Tag den Himmel ab, aber bisher ist noch kein Flugzeug hierhergekommen.

Krieg bedeutet, dass man immer seine Gasmaske in einem Beutel um den Hals mit sich herumtragen muss. Große Gasmasken für große Leute, kleine für Kinder, und Babys haben Gasmasken, mit denen sie aussehen wie Tiefseetaucher. Dann muss die Kinderfrau sie tragen, weil ihre Köpfe durch die Masken so groß werden, dass sie nicht mehr in den Kinderwagen passen.

Ansonsten geht das Leben seinen gewohnten Gang. Er geht in die Schule, nachmittags spielt er, sein Vater geht auf die Arbeit und Miss Davis hält das Haus in Ordnung.

Sonntags kommt seine Mutter in der Regel für einen Besuch vorbei. Miss Davis brät dann Fleisch mit Kartoffeln im Ofen, das nennt man einenSunday roast. Miss Davis redet komisch und ist sehr streng, aber sie kann gut kochen. Montags kommt sie nie. Dann bringt sein Vater selbst das Essen für sie mit, so etwas wiefish ’n’ chips oderbangers ’n mash.

Die Freunde von Charles haben fast alle einen Vater, der Schießen lernt. Manche von ihnen sind schon weggegangen, um im Krieg zu kämpfen, andere gehen demnächst. Charles Vater sagt, dass er dort bleibt, wo er ist, schließlich muss er bei den Londoner Elektrizitätswerken dafür sorgen, dass der Strom fließt. Er arbeitet in einem großen, brandneuen Gebäude am Ufer der Themse. Große Schiffe löschen da ihre Ladung von Steinkohle, aus der wird dann Strom gemacht.

Charles liebt Scherze und Spiele, aber wenn ihn jemand aufziehen möchte, ist er sofort bereit, sich mit seinen Fäusten zur Wehr zu setzen. »Alle anderen Väter gehen kämpfen«, hat letztens noch ein Freund zu ihm gesagt, »nur deiner nicht, der ist zu alt.«

Charles Wangen sind röter geworden, als sie es normalerweise sind. »Das ist nicht wahr, das weißt du ganz genau. Mein Vater muss hierbleiben, er muss nämlich Strom machen. Oder willst du heute Abend lieber im Dunkeln sitzen? Hä? Willst du das?«

Er ist froh, dass sein Vater nicht kämpfen gehen muss, sonst müsste er die ganze Zeit bei Miss Davis wohnen. Und das wäre mit Sicherheit kein Zuckerschlecken.

Nicht nur die Väter gehen weg, in der