Es gibt gegen die unberechenbaren Regungen eines leidenschaftlichen Herzens nur ein verläßliches Mittel: streng bis ins letzte eingehaltene Planmäßigkeit; und ihr, die er beizeiten erworben hatte, verdankte Lindner sowohl die Erfolge seines Lebens als auch den Glauben, von Natur ein leidenschaftsstarker und schwer zu disziplinierender Mann gewesen zu sein. Er stand des Morgens früh auf, Sommer und Winter um die gleiche Stunde, und wusch sich an einem kleinen eisernen Waschtisch Gesicht, Hals, Hände und ein Siebentel seines Körpers, jeden Tag natürlich ein anderes, worauf er den übrigen Körper mit einem nassen Handtuch abrieb, so daß das Bad, dieser zeitraubende und wollüstige Vorgang, auf einen Abend aller zwei Wochen beschränkt werden konnte. Es lag darin ein kluger Sieg über die Materie; und wer je Gelegenheit gehabt hat, die unzureichenden Waschgelegenheiten und unbequemen Betten zu betrachten, mit denen sich historisch gewordene Persönlichkeiten begnügt haben, der wird sich kaum der Mutmaßung entschlagen können, daß zwischen eisernen Betten und eisernen Männern ein Zusammenhang bestehen müsse, wenn wir ihn auch nicht übertreiben wollen, da wir sonst gleich auf Nägelbetten schlafen dürften. Hier war dem Nachdenken also überdies eine vermittelnde Aufgabe gestellt, und nachdem sich Lindner im Widerschein anregender Beispiele gewaschen hatte, nützte er denn auch das Abtrocknen nur mit Maß dazu aus, dem Körper durch geschickte Benutzung des Handtuches einige Bewegung zu geben. Ist es doch eine verhängnisvolle Verwechslung, die Gesundheit auf den tierischen Teil des Menschen zu gründen, geistiger und sittlicher Adel sind es vielmehr, woraus die körperliche Widerstandsfähigkeit hervorgeht; und wenn das auch nicht immer auf den einzelnen zutrifft, so trifft es dafür umso sicherer im großen zu, denn die Kraft eines Volkes ist die Folge des rechten Geistes, und nicht gilt es umgekehrt. Lindner hatte darum seinen Abreibungen auch eine besondere und sorgfältige Ausbildung angedeihen lassen, die es vermied, mit rücksichtslosem Zugreifen den üblichen männlichen Götzendienst zu treiben, dafür aber die ganze Persönlichkeit beteiligte, indem er die Bewegungen seines Körpers mit schönen inneren Aufgaben verband. Er verabscheute besonders die halsbrecherische Anbetung der Schneidigkeit, die, von außen kommend, nun auch schon in seinem Vaterland manchem als Ideal vorschwebte; und sich von ihr abzuwenden, gehörte ganz und gar zu seinen Morgenübungen. Er ersetzte sie bei diesen mit großer Umsicht durch ein staatsmännischeres Verhalten im turnerischen Gebrauch seiner Gliedmaßen und verband Anspannung der Willenskraft mit rechtzeitiger Nachgiebigkeit, Schmerzüberwindung mit verständiger Menschlichkeit, und wenn er als abschließende Mutübung etwa über einen umgelegten Stuhl sprang, so geschah es mit ebenso viel Zurückhaltung wie Selbstvertrauen. Eine solche Entfaltung des ganzen Reichtums an menschlichen Anlagen machte ihm seine Leibesübungen, seit er sie vor einigen Jahren aufgenommen hatte, zu wahren Tugendübungen.
Soviel wäre im Fluge aber auch gegen den Ungeist vergänglicher Selbstbehauptung zu sagen, der sich, unter dem Schlagwort der Körperpflege, des an sich gesunden Gedankens des Sports bemächtigt hat, Zusätzliches indes noch gegen die besondere weibliche Form dieses Ungeistes als Schönheitspflege. Lindner schmeichelte sich, zu den wenigen zu gehören, die Licht und Schatten auch da richtig zu verteilen wüßten, und so, wie er bereit war, dem Zeitgeist allenthalben einen unverderbten Kern zu entnehmen, anerkannte er auch die sittliche Verpflichtung, so gesund und wohlgefällig zu erscheinen wie nur möglich. Er selbst pflegte sorgfältig jeden Morgen Bart und Haar, hielt seine Nägel kurz und peinlich sauber, nahm etwas Brillantine aufs Haupt und etwas schützende Salbe auf die tagsüber viel erduldenden Füße; wer dagegen möchte leugnen, daß es ein Zuviel an dem Körper gewidmeter Aufmerksamkeit ist, womit eine weltliche Frau ihren Tag verbringt? Sollte es aber wirklich nicht anders sein können – er kam Frauen gerne zart entgegen, zumal wenn sich unter ihnen auch die von hochmögenden Männern befinden konnten – als daß Badewässer und Gesichtsbäder, Salben und Packungen, Hand- und Fußkünsteleien, Knetmeister und Haarkünstler einander in kaum unterbrochener Folge ablösen, so empfahl er als Gegengewicht solcher einseitigen Körperpflege den von ihm in öffentlicher Rede geprägten Begriff der inneren Schönheitspflege, oder kurz Innenpflege. Möge uns beispielsweise die Reinigung an die innere Reinheit mahnen, die Salbung an die Pflichten gegen die Seele, die Massage an die Hand des Schicksals, worin wir uns befinden, und die Feilung der Fußspitzen daran, daß wir auch im noch tiefer Verborgenen ein schöner Anblick sein sollen. So übertrug er sein Bild auf die Frauen,