: Stefan Zweig
: Joseph Fouché Bildnis eines politischen Menschen
: Books on Demand
: 9783756815623
: 1
: CHF 0.50
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 341
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Stefan Zweig zeichnet in einem seiner bekanntesten Werke ein unvergleichliches Leben nach: das Joseph Fouchés, der es vom armen Priesterschüler bis zum späteren Herzog von Otranto bringt, einem der reichsten Menschen Frankreichs; eines Mannes, der es versteht, nach der Macht zu greifen und sie festzuhalten, dabei stets handelnd als gnadenloser Opportunist, der keine Loyalität kennt - außer der zu sich selbst, sowohl in den blutigsten Tagen der Französischen Revolution als gefürchteter Jakobiner und"Mitrailleur de Lyon", der zehntausende Menschen erschießen lässt, wie bald darauf als tödlicher Gegner Robespierres und später dann höchst reaktionärer Polizeiminister Napoleon Bonapartes; und selbst nach dessen Sturz ist eine der erstaunlichsten Karrieren der Weltgeschichte noch längst nicht zu Ende...

Stefan Zweig, geb. 1881 in Wien. Ab 1897 erste Gedichte, 1899 Matura (Abitur), anschließend Studium der Philosophie, Mitarbeit am Feuilleton der"Neuen Freien Presse", 1901 Gedichtband"Silberne Schatten". 1904 Promotion, erste Novelle"Die Liebe der Erika Ewald", Tätigkeit als Übersetzer (Verlaine, Baudelaire, Verhaeren). 1910/12 Reisen nach Indien und Amerika. Während des Ersten Weltkriegs, 1914-18, in Zürich, danach Rückkehr nach Österreich. 1920 Heirat. 1927"Sternstunden der Menschheit", 1928 Reise nach Russland, ab 1934 im Exil, zunächst in London, Trennung von der ersten Ehefrau. 1939 zweite Heirat, Annahme der britischen Staatsbürgerschaft. Ab 1940 Aufenthalt in Brasilien. 1942"Schachnovelle" "Die Welt von gestern"; Freitod (gemeinsam mit Ehefrau) aufgrund andauernder Depressionen.

Erstes Kapitel


Aufstieg


1759 – 1793


Am 31. Mai 1759 wird Joseph Fouché – noch lange nicht Herzog von Otranto! – in der Hafenstadt Nantes geboren. Seeleute, Kaufleute seine Eltern, Seeleute seine Ahnen; nichts darum selbstverständlicher, als dass der Erbsohn wieder Meerfahrer würde, Schiffskaufmann oder Kapitän. Aber früh zeigt sich schon: Dieser schmächtig aufgeschossene, blutarme, nervöse, hässliche Junge entbehrt jeder Eignung zu so hartem und damals wirklich noch heldischem Handwerk. Zwei Meilen vom Ufer – und er wird schon seekrank, eine Viertelstunde Lauf oder Knabenspiel – und er ermüdet. Was also tun mit einem so zart geratenen Schössling, fragen sich die Eltern nicht ohne Sorge, denn das Frankreich um 1770 hat noch keinen rechten Raum für eine geistig bereits aufgewachte und ungeduldig vordrängende Bürgerschaft. Bei Gericht, bei der Verwaltung, in jeder Anstellung, jedem Amt bleiben alle fetten Pfründen dem Adel vorbehalten; für den Hofdienst benötigt man gräfliches Wappen oder gute Baronie, selbst in der Armee bringt es ein Bürgerlicher mit grauen Haaren kaum weiter als bis zum Korporal. Der dritte Stand ist überall noch ausgeschlossen in dem schlecht beratenen, korrupten Königreich; kein Wunder, dass er ein Vierteljahrhundert später mit Fäusten fordern wird, was man allzu lange seiner demütig bittenden Hand versagte.

Bleibt nur die Kirche. Diese tausend Jahre alte, an Weltwissen den Dynastien unendlich überlegene Großmacht denkt klüger, demokratischer und weitherziger. Sie findet immer Platz für jeden Begabten und nimmt auch den Niedrigsten in ihr unsichtbares Reich. Da der kleine Joseph sich schon auf der Schulbank der Oratorianer lernend auszeichnet, räumen sie dem Ausgebildeten gern das Katheder ein als Lehrer der Mathematik und Physik, als Schulaufseher und Präfekt. Mit zwanzig Jahren hat er in diesem Orden, der seit der Vertreibung der Jesuiten überall in Frankreich die katholische Erziehung leitet, Würde und Amt, ein ärmliches zwar, ohne viel Aussicht auf Aufstieg, aber eine Schule immerhin, in der er sich selber schult, in der er lehrend lernt. Er könnte höher gelangen, Pater werden, vielleicht einmal gar Bischof oder Eminenz, wenn er das Priestergelübde leistete. Aber typisch für Joseph Fouché: Schon auf der ersten, der untersten Stufe seiner Karriere tritt ein charakteristischer Zug seines Wesens zutage, seine Abneigung, sich vollkommen, sich unwiderruflich zu binden an irgendjemand oder irgendetwas. Er trägt geistliche Kleidung und Tonsur, er teilt das mönchische Leben der andern geistlichen Väter, er unterscheidet sich während jener zehn Oratorianerjahre äußerlich und innerlich in nichts von einem Priester. Aber er nimmt nicht die höheren Weihen, er leistet kein Gelübde. Wie immer, in jeder Situation, hält er sich den Rückzug offen, die Möglichkeit der Wandlung und Veränderung. Auch an die Kirche gibt er sich nur zeitweilig und nicht ganz, ebenso wenig wie später an die Revolution, das Direktorium, das Konsulat, das Kaisertum oder Königreich: Nicht einmal Gott, geschweige denn einem Menschen verpflichtet sich Joseph Fouché, jemals zeitlebens treu zu sein.

Zehn Jahre lang, vom zwanzigsten bis zum dreißigsten Jahre, geht dieser blasse, verschlossene Halbpriester durch Klostergänge und stille Refektorien. Er unterrichtet in Niort, Saumur, Vendôme, Paris, aber er spürt kaum den Wechsel des Wohnorts, denn das Leben eines Seminarlehrers spielt sich gleich still, ärmlich und unscheinbar ab in einer Stadt wie der andern, immer hinter schweigsamen Mauern, immer vom Leben abgesondert. Zwanzig Schüler, dreißig Schüler, vierzig Schüler, denen man Latein beibringt, Mathematik und Physik, blasse, schwarzgewandete Knaben, die man zur Messe führt und im Schlafsaal überwacht, einsame Lektüre in wissenschaftlichen Büchern, ärmliche Mahlzeiten, schlechte Bezahlung, ein schwarzes, verschabtes Kleid, ein klösterliches, anspruchsloses Dasein. Wie eine Erstarrung scheinen sie, unw