Meine Ursuppe
Durch Gespräche, Briefe und Fotos habe ich eine gute Vorstellung, wie meine Eltern vor meiner Geburt gelebt haben und wie sie miteinander umgegangen sind. Ich sehe sie förmlich vor mir, als meine Mutter dreißig Jahre alt war, jung und bildschön, mit einer Frisur aus den Zwanzigerjahren. Mein Vater war ein freundlicher, gut aussehender und stets elegant gekleideter Herr im Alter von sechsunddreißig. Auf einem Foto hält er seine immer lächelnde und verlegen blickende Frau etwas steif im Arm. Sie tanzen nach Walzer-Klängen von Johann Strauß auf irgendeinem Ball im noch friedlichen Stettin an der Oder.
Das waren sie also, Vater und Mutter, ein glückliches Paar vor dem Zweiten Weltkrieg. Als Jugendlicher waren sie für mich die ewig steinalten Eltern mit antiquierten Ansichten und altmodischem Gehabe. Aber das ist lange her. Nachdem ich erwachsen war, akzeptierte ich die Ansichten ihrer Generation, die für sie keineswegs weniger attraktiv waren als meine.
Die Eltern meines Vaters stammten aus einer Handwerkerfamilie. Sie waren noch vom Gutsherrn aus Grünhoff in Hinterpommern abhängig, obwohl die Leibeigenschaft schon abgeschafft war. Mein Opa war zwar selbstständiger Stellmacher, aber die Werkstatt gehörte dem Gutsbesitzer. Die meisten Menschen im Dorf arbeiteten für den Gutsherrn. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es aber genügend polnische Arbeitskräfte, wodurch die junge Generation meines Vaters für die Feldarbeit entbehrlich war und Berufe ihrer Wahl erlernen konnte.
Ich kann mich an die Hühner und den Schweinestall meiner Oma auf dem Hinterhof ihres kleinen Häuschens an der Straße nach Regenwalde erinnern. Dort lebten meine Großeltern mit ihren zahlreichen Kindern, darunter mein Vater. Sie besaßen immerhin etwas, vielleicht auch einen Kartoffelacker und am Haus einen kleinen Gemüsegarten, aber mehr nicht.
Als meine Großeltern heirateten, unterschrieb meine Oma die Heiratsurkunde stolz mit ihrem neuen Nachnamen, fügte jedoch bewusst ein weiteres „l“ hinzu. Nach dem Grund gefragt, argumentierte sie: „Zwei ‚ll’ im Namen seien viel schöner.“ Der Teufel weiß warum, schließlich verweist die Silbe „mall“ auf verrückt. Man denke nur an das Bild von Franz Hals „Die malle Baba“. Aber davon hatte meine Oma offenbar noch nichts gehört. Meinem Vater bereitete dieser Fehler später viele Unannehmlichkeiten auf den Ämtern. Tatsächlich gibt es heute überall auf der Welt diesen Namen, sowohl mit einem „l“ als auch mit zwei „ll“.
Meine Oma, alle nannten sie Mutter Malwitz, war alsbald nur noch mit der Aufzucht ihrer Nachkommen beschäftigt. Es ist mir ein Rätsel, wie meine Großeltern elf von dreizehn geborenen Kindern in der engen Behausung großziehen konnten. Meine Erinnerung sagt mir, es waren allenfalls vier Räume mit insgesamt höchstens hundert Quadratmetern. Ich kann mich lediglich an die kleine Küche und das Wohnzimmer erinnern. Da gab es noch eine immer verschlossene Tür, hinter der sich vermutlich ein oder zwei Schlafzimmer befanden.
Der Hof war nicht gepflastert. Deswegen standen dort nach einem Regen tagelang die Pfützen. Hauptsächlich war er von Hühnern und Enten bevölkert. Wer das Haus durc